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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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liebenswerten Frau, die er liebte und die ihn liebte. Sie hatten die Tochter, die sie sich immer gewünscht hatten, beide einen anspruchsvollen Beruf, genügend Geld, ein schönes Haus, was wollten sie mehr?
    Doch etwas Schreckliches geschah.
    »Sie ist einfach umgefallen«, sagte Hans Brendler. »Sie ist einfach mitten im Diktat vom Stuhl gefallen. Sie lag da. Sie war wie tot.«
    Sie war nicht tot. Sie kam zu sich, irgendwie, nicht ganz, aber irgendwie. Sie ruckte mit dem Kopf, röchelte. Ihr Gesicht hatte eine andere Farbe, einen anderen Ausdruck. Er erkannte sie nicht mehr, rief den Notarzt.
    Sie überlebte, aber erholte sich nicht wieder von den Schäden, die der Schlaganfall angerichtet hatte. Sie blieb taub, halb gelähmt und ohne Erinnerung an ihr Leben. Sie war zweiunddreißig, hatte keine Angehörigen, hatte die letzten Jahre völlig allein mit dem Kind, mit Hanna gelebt.
    Was sollte mit ihr geschehen? Was mit dem Kind?
    »Meine Frau war die Erste, die es ausgesprochen hat«, sagte Brendler. »Wir nehmen Hanna, hat sie gesagt. Ganz einfach so: Wir nehmen Hanna. Du bist Anwalt, hat sie gesagt, du wirst das alles regeln können.«
    Und er regelte alles. Es gab ja keinen eingetragenen Vater, keine Großeltern, keine sonstigen Verwandten. Das Jugendamt stimmte sofort zu, noch dazu, als Brendler sich verpflichtete, die Kosten für die Dauerpflege seiner ehemaligen Sekretärin in einem Pflegeheim zu übernehmen, was nur deshalb ging, weil die Anwaltskanzlei eine alteingesessene war, die schon dem Vater und vorher noch dem Großvater viel Geld eingebracht hatte.
    »Und weiter?«, fragte Herz.
    »Und weiter …«, wiederholte Brendler und lauschte seinen Erinnerungen. »Damit hat alles angefangen.«
    Er trank einen Schluck Kaffee, schaute in die Tasse, stellte sie zurück auf den Tisch. »Die ersten Jahre waren einfach«, sagte er. »Ich habe sie oft gar nicht bemerkt. Beide Mädchen nicht.«
    Er verstummte, lächelte schmerzlich. »Ich weiß, das klingt nicht gerade … ehrenvoll für mich, aber Sie wissen vielleicht, wie das ist. Man geht morgens aus dem Haus, da schlafen die Kinder noch, und wenn man abends heimkommt … ja, wie gesagt.«
    Er zuckte die Schultern. Ja, dachte Herz, ich weiß. Ja, dachte Franza, ich weiß.
    »Wir hatten eine Haushälterin«, fuhr Brendler fort, »eine sehr anständige, warmherzige Person. Sabine. Eine sogenannte Perle. Hatte selber keine Kinder. Die kümmerte sich um die Mädchen, meine Frau hat ja auch gearbeitet. Im Krankenhaus. Als Internistin. Und so sind sie einfach herangewachsen, Grundschule, dann Gymnasium, sie liefen einfach nebenher mit, manchmal hab ich gedacht, wie schön, dass Gertrud auf diese einfache Weise eine Schwester bekommen hat, eine gleichaltrige noch dazu. Eine, mit der man alles teilen kann, die alles aus dem gleichen Blickwinkel sieht, der man nichts erklären muss.«
    Eine, die eine Konkurrentin ist, dachte Franza, eine, die einem das Leben zur Hölle machen kann, im ungünstigsten Fall. Weil sie sich alles nimmt, was man selber gerne hätte. Weil sie immer die erste ist.
    »Ich weiß noch«, sagte Brendler, »dass sie eines Tages zu mir ins Büro kamen. Es war später Nachmittag, Winter, schon dunkel draußen. Sie müssen so etwa vierzehn oder fünfzehn gewesen sein. Sie hatten eine Arbeit geschrieben in der Schule, ich weiß nicht mehr, welches Fach. Gertrud kam als Erste, stürmte herein, hatte die bessere Note, wollte mir das auf der Stelle mitteilen, sie freute sich so. Hinter ihr kam Hanna, langsam, ein Lächeln auf dem Gesicht, setzte sich auf den Schreibtisch, ließ die Beine baumeln. Sie streckte sich ein bisschen und für einen winzigen Augenblick fuhr das Deckenlicht in ihr Haar und brachte es zum Leuchten wie einen Feuerball. Sie bemerkte, dass ich sie anschaute, und sie schaute zurück und in diesem Augenblick wusste ich, dass sie Gertrud hatte … gewinnen lassen. Bei dieser Note. Und bei manch anderen Noten. Oft.«
    Er schwieg, dachte nach, sah sie wohl da sitzen mit baumelnden Beinen in Winterjeans.
    »Es hat«, sagte er, »für einen winzigen Augenblick weh getan.«
    Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft, wurde rasch wieder glatt.
    »Ich glaube«, fuhr er schließlich fort, »ich glaube, ich habe sie zum ersten Mal gesehen. Und ab diesem Augenblick … immer.«
    Arschloch, dachte Franza, blödes Arschloch, und stellte sich Gertrud vor, wie sie als Kind gewesen war, als Jugendliche, wie sich mehr und mehr herausstellte, dass sie immer

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