Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Felix.
Franza nickte. »Nein«, sagte sie, »ich will nicht, dass er es war. Er könnte es gewesen sein, durchaus, alles deutet darauf hin, aber du hast recht, ich will nicht, dass er es war. Und ich glaube nicht, dass er es war.«
Felix nickte. »Ich weiß.«
»Allein schon wegen der Kinder«, sagte sie, »die haben doch genug Schreckliches erlebt.«
»Ich weiß«, sagte Felix.
Sie schwiegen. Was konnte man tun? Nichts.
Doch plötzlich hatte Franza eine Idee.
»Sag mal, an der Ausfahrtsstraße ist doch eine Radarampel. Ich bin da schon mal geblitzt worden. Wenn er wirklich so gerast ist, wie er sagt, haben wir vielleicht ein Foto von ihm und können ihn für die Tatzeit ausschließen.«
»Ja«, sagte Herz, »gute Idee. Mal schauen, ob er ein bisschen Glück hat, der Pechvogel.«
Sie riefen in der Verkehrsabteilung an, die Kollegen wollten es überprüfen und Bescheid geben.
»Ob es Hanna gewesen ist?« Felix stand auf und schaute aus dem Fenster.
»Bist du prüde?«, fragte Franza. »Dürfen zwei Frauen sich lieben?«
»Natürlich«, sagte er und drehte sich um. »Wo die Liebe hinfällt. Ist doch schön, wenn sie wohin fällt. Tut sie doch gar nicht immer.«
Sie nickte.
»Willst du, dass es Hanna war?«, fragte er.
»Ich hätte gerne, dass es niemand war«, sagte sie mit theatralisch erhobener Stimme. »Ich hätte gerne, dass die Welt glücklich und friedlich ist und keine Morde passieren, keine Vergewaltigungen, keine Raubüberfälle, kein Garnichts.«
Er lachte. Leise. Nachdenklich.
»Ja«, sagte er, »ich weiß. Die Utopie von Frieden und Glück. Wie aber würden wir dann unser Geld verdienen, liebste Kollegin? Mit Blumengießen? Und wie würden all diese Menschen, die letztlich von Mord und Totschlag leben, ihr Geld verdienen? Polizisten, Juristen, Journalisten, Fernsehleute, Schreiberlinge, Schauspieler, weiß der Teufel, wer noch. Nein, ich sage dir, so schrecklich es klingt, es würde was fehlen.«
Sie nahm einen Lebkuchen aus der Tupperbox, die vor ihr stand, warf damit nach Felix, der fing ihn auf und steckte ihn sich in den Mund.
»Lass mir doch meine Träume«, sagte sie, »ich hab doch ohnehin nicht mehr so viele.«
»Tu ich doch«, sagte er, »tu ich doch. Ich finde es doch schön, wenn du träumst.« Er lächelte.
Sie zuckte die Schultern. »Letztendlich zählt doch nicht, was wir wollen oder träumen, oder? Letztendlich zählt die Wahrheit. Auch wenn das schon wieder so schrecklich pathetisch klingt. Und man oft gar nicht weiß, was das eigentlich ist, die Wahrheit, weil sie aus so vielen unterschiedlichen Schichten und Wahrnehmungen besteht.«
Sie schwieg, holte sich Kaffee, stellte auch ihm einen hin, sie aßen Kekse, die knirschten zwischen den Zähnen, aber wärmten den Bauch.
»Manchmal«, sagte sie, »manchmal versteh ich Sonja ein bisschen. Dass sie den Brückl genommen hat. Dass sie mit ihm glücklich ist. Sein Pragmatismus hat doch eine richtig schöne Klarheit. Keine Schichten, kein: Such dir aus, was du willst und brauchst, babe ! Zack! Was ist, das ist und aus.«
Felix lachte. Dann machten sie sich auf den Weg. Franza zu Frau Brendler, um ihr die neuen Entwicklungen mitzuteilen, und Felix zu Hansen, um nachzufragen, ob die Suche nach Hanna nicht vielleicht Ergebnisse gezeitigt hatte.
40 »Komm«, sagte sie. Und ich bin mitgegangen. Sie hat mich angeschaut wie damals. Mit diesem Blick. Sie hat meine Hand genommen. Ich habe uns als Kinder gesehen. Und hatte diese Sehnsucht. Und ging mit in ihr Zimmer, in ihr Bett. Sie hat mich umfangen. Sie lag hinter mir und hat mich umfangen. Es war schön. Wir haben das als Kinder gemacht. Wenn ich mich allein fühlte, weil meine Mutter …
Ich hatte Sehnsucht. Ja. Und wenn es nur nach der Vergangenheit war.
Dass wir glücklich gewesen sind, hat sie gesagt. Damals. Früher. »Wir sind glücklich gewesen«, sagte sie.
Wirklich? Waren wir glücklich?
Das frage ich mich nun. Hier an diesem stillen Ort, an diesen Frühherbstabenden, in der Mitte meines Lebens, der sogenannten.
Wenn sie überrascht war, als ich gegen Mittag in ihr Haus kam, hat sie sich das nicht anmerken lassen. Sie führte mich hinein, zeigte mir alle Räume, wir aßen Brot, Schinken, Käse, tranken Wein und ich dachte, dass diese vielen Jahre kaum Spuren an ihr hinterlassen hatten. Ihre Augen leuchteten immer noch braun wie dunkler Milchkaffee, vielleicht hatte sie ein bisschen mehr Fleisch auf den Knochen, ich weiß nicht, und in der Mitte der Stirn zwischen
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