Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Garten lag, über dem Haus.
»Sie sind rasch zurückgekehrt«, sagte Franza.
Dorothee zuckte die Schultern. »Was sollen wir sonst tun? Ist es nicht wichtig, zur Normalität zurückzukehren? Moritz in sein Leben zurückzulassen?«
»Ja«, sagte Franza, »wahrscheinlich ist es das.«
»Er weint nicht«, sagte Dorothee und Franza hörte das Weinen, das Dorothee bei ihrem Enkel vermisste, in ihrer Stimme.
»Moritz?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Dorothee, »Moritz. Er hat keine Tränen. Er weint nicht.«
Sie schüttelte den Kopf, ihre Ruhe, ihre Eleganz war wie weggewischt, ein Mensch am Beginn seiner Trauer, vor den Ruinen eines gelungen geglaubten Lebens.
»Lassen Sie ihm Zeit«, sagte Franza und wusste, wie leicht es war, das zu sagen, wie schwer jedoch, es zu tun. »Lassen Sie sich selber Zeit.«
Dorothee nickte. »Ja, vielleicht.«
»Ich habe mit Lilli gesprochen«, sagte Franza, »sie erzählte mir, ihre Mutter habe immer ein bisschen in Panik gelebt. Als fühle sie sich nicht sicher. Als würde irgendetwas sie und Lilli bedrohen. Was sagen Sie dazu?«
Dorothee schüttelte heftig den Kopf. »Was für ein Unsinn! Wie kommt das Kind darauf? Und Sie täuschen sich auch, was Christian anlangt. Er hat meine Tochter nicht getötet. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Und Hanna?«
Wieder Kopfschütteln. »Nein. Hanna auch nicht.«
»Wer dann? Was glauben Sie? Haben Sie eine Idee? Irgendjemand muss es ja gewesen sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe keine Idee. Vielleicht war es ein ganz gewöhnlicher Einbrecher, und Sie folgen völlig falschen Spuren.«
Franza schwieg. Sie wusste, dass auch Dorothee nicht an diese These glaubte, es war also nicht nötig, zu widersprechen. Nächste Frage.
»Wissen Sie etwas darüber, dass Tonio einen Sohn hat?«
Für einen winzigen Augenblick erstarrte Dorothee Brendler, und Franza nahm erstaunt wahr, dass Dorothees Augen zuckten, aber im Nu war es vorüber und sie wirkte wie zuvor.
»Einen Sohn? Was meinen Sie?«
Täuschte Franza sich, oder zitterte Dorothees Stimme?
»Nun, einen Sohn eben«, sagte sie. »Ende zwanzig, Anfang dreißig. Erschreckt Sie das?«
Dorothee räusperte sich. »Nein«, sagte sie, »nein, nein, nicht erschrecken. Es erstaunt mich. Nein, das wusste ich nicht. Ein Sohn?«
»Also Sie wissen nichts von früheren Beziehungen Tonios. Die er vor Hanna hatte.«
Dorothee schüttelte den Kopf. »Nein. Wirklich nicht. Ich habe ihn ja nicht sonderlich gut gekannt, ihn selten gesehen.«
»Wie war er denn?«
Sie hob den Kopf, schaute in die Ferne, schaute in den Himmel.
»Wie er war?«
Sie lächelte. »Nun ja, wie gesagt, ich weiß nicht viel, aber … er war wohl … ungewöhnlich. In jeder Hinsicht. Unglaublich charmant auf der einen Seite. Sehr einnehmend. Ich konnte verstehen, dass Hanna sich in ihn verlieben … musste. Auf der anderen Seite aber … war er ein sehr schwieriger Mensch.«
Tonio hatte ein Feuer in sich, eine Flamme, die ihm das Herz versengte, ihn trieb zu Fragen, auf die er keine Antworten fand. Das stieß ihn in eine Einsamkeit, der er nicht gewachsen war, die ihn zerriss. Seine Mutter hatte auf ihn verzichtet, da war er zehn gewesen. Sie war in ihre Heimat zurückgekehrt, nach Italien, nach Rom, weil ihr dieses Land, Deutschland, zu kalt war, weil sie fror, immerzu. Der Vater blieb ihm und mühte sich redlich und schickte den Sohn in den Sommerferien nach Italien, wo eine Großfamilie sich lärmend seiner annahm. Waren die Ferien vorüber, kehrte Tonio zurück, von der Sonne durchstrahlt, gebräunt, und die Mädchen stöhnten heimlich vor Kummer über sein unnahbares Herz, das unnahbar bleiben würde, bis Hanna es aufbrach.
»Vielleicht hat sie das verbunden«, sagte Dorothee, »dass sie beide so früh keine Mutter mehr hatten. Aber dieser Sohn, von dem Sie sprachen. Was genau meinten Sie damit?«
»Ein junger Mann ist aufgetaucht«, sagte Franza, »es scheint, als hätte er Kontakt zu Gertrud gesucht. Eine Zeugin hat ausgesagt, er hätte eine sehr starke Ähnlichkeit mit diesem Tonio von damals. Die Wahrscheinlichkeit liegt also nahe …«
»Mein Gott!«
Wieder erschrak sie. »Dann hat er vielleicht …«
Ein Zittern erfasste ihren Körper, sie konnte es nicht kontrollieren. Franza sprang auf. »Ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie ein Glas Wasser?«
Aber Dorothee hatte sich wieder gefasst, winkte ab. »Nein«, sagte sie, »vielen Dank. Vielleicht lassen Sie mich jetzt einfach in Ruhe, vielleicht
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