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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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gedacht, Glück gehabt, ja, vielleicht, ein bisschen, ein bisschen ist das wohl Glück. Plötzlich erinnerte er sich, dass auf der Rückfahrt in die Stadt in der Dunkelheit jener Nacht tatsächlich etwas gewesen war, ein rasches Blitzen, ein rasches Aufflackern, die Radarkamera wohl, aber er hatte nicht begriffen, was das war, so sehr war er neben der Spur gewesen. Nun werde ich wohl Strafe zahlen müssen, dachte er und dass er das zum ersten Mal in seinem Leben gerne tun würde. Kurz musste er lächeln und spürte nun doch eine kleine Freude, eine kleine Erleichterung.
    Langsam ging er los, immer noch mit dem Blick Richtung Himmel, immer noch mit dem Blick Richtung Ferne.
    Gertrud schaute nirgendwo mehr hin. Sie war in der Ferne, irgendwo in einer Ferne, die man sich nicht vorstellen konnte, die so weit war, eine weite, ferne Ferne. Sie war jenem leisen feinen Ton hinterher, der plötzlich in der Luft lag, der sie hinausbegleitet hatte aus ihrem Leben, der in ihr geflüstert hatte: Es ist gut. Es gibt hier nichts mehr zu tun. Lass dich los. Lass uns fliegen.
    Man hatte ihr die Augen geschlossen, ihre Haut hatte die fahle Farbe angenommen, die Franza manchmal in ihren Träumen sah. Da schreckte sie hoch, machte Licht und atmete durch, schaute ihre Arme an, ihre Beine, ihren Körper, prüfte nach, ob sie die Farbe nicht auch schon an sich selber hatte, an ihrer Haut, und immer fiel sie dann seufzend und erleichtert zurück in den Schlaf. Nein, es war noch nicht so weit, sie lebte und lebte gut, ihre Haut war rosig und lebendig, keine Farben des Todes an ihr, die waren noch weit entfernt auf den Tischen in der Pathologie, an den Tatorten, an den Toten.
    44 Ich bin schuld, dachte Lilli. Ich bin schuld, weil ich mein Handy nicht aufgeladen hatte, weil ich dieses verdammte Ding immer liegenlasse und der Akku leer wird. Wenn der Akku nicht leer gewesen wäre, hätte sie mich in der Nacht erreicht und ich wäre zu ihr gefahren.
    Und wenn ich das getan hätte, dachte Lilli, hätte sie mir erzählen können, was es auf sich hat mit dem Schrecklichen, das sie getan hatte, mit diesem Satz, den sie nicht nur auf den AB gesprochen hat, den ich auch in ihrem Tagebuch gefunden habe, diesen letzten Satz, dem nichts mehr folgte, nicht auf dem AB und nicht im Tagebuch: Ich habe etwas Schreckliches getan.
    Ich war nicht da, Mama, dachte Lilli, ich bin nicht da gewesen. Als du mich gebraucht hättest, war ich tanzen, mich ein bisschen austoben, mich für das Gespräch mit deinem Vater wappnen.
    Was, dachte Lilli, was hast du Schreckliches getan, Mama? Was kann so schrecklich gewesen sein, dass du jetzt dafür sterben musstest? Und was hat es mit Hanna auf sich und was mit Tonio und warum ging er ins Meer und warum ist er ertrunken? Und wer, Mama, bin ich?
    Man wird von Halbheiten nicht satt, dachte Lilli, sie wecken nur den Hunger, der krallt sich in deine Magenwände und lässt dich nicht schlafen.
    45 Seit meine Erinnerung zurück ist, hör ich mich schreien. In den Nächten. Nicht oft. Hin und wieder. Ich schreie seinen Namen, und er läuft hinaus ins Wasser, in den Sturm, in die Dunkelheit und versinkt. Dann seine kalte Haut an meinen Händen. Dann der Schmerz, der mich zerreißt. Dann seinen Namen schreien, aber keiner hört mich. Dann … Stille.
    »Lass die alten Dinge ruhen«, hat Gertrud gesagt. »Lass sie ruhen!«
    Aber das ging nicht. Das ging nicht mehr. Wegen dieser alten Dinge war ich hergekommen.
    »Hast du mir den Brief geschickt, Gertrud?«, hab ich sie gefragt, und sie: »Nein«, und begann zu zittern und plötzlich saß Tonio bei uns, wir haben ihn gespürt, sein Warten, sein Schweigen, und ich wusste, die schwarzen Vögel auf den Herbstfeldern werden fliegen.
    46 Das Navi hatte mühelos hergefunden. Keine besonders gute Wohngegend. Stadtrand. Immerhin Parkplätze. Sie stellte das Auto ab und wartete. Wusste nicht, worauf. Wartete einfach. Auf eine Idee. Eine Eingebung. Irgendwas. Aber es kam nur eine SMS . »Wollen wir zusammen Kaffee trinken, Lilli? Melde dich! Franza.«
    Aber Lilli meldete sich nicht. Lilli hatte keine Zeit. Lilli wollte die Vergangenheit erspüren. Und schaltete das Handy aus.
    Der Zettel aus der Handtasche, ja, die Adresse stimmte, die Adresse hatte im roten Buch gestanden, vor mehr als zwanzig Jahren hatte Gertrud sie da hinein geschrieben und nun befand sich Lilli vor dem Haus, vor der Haustür und als jemand herausging, ging sie hinein, rasch hindurch durch den Spalt, ehe die Tür sich wieder

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