Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
mehr.
    Gertrud nickte, ich schaute sie vorsichtig an, ihre Augen waren dunkel, ihr Mund ein harter Strich, sie wirkte flüchtig wie ein Tier.
    Alt sieht sie aus, habe ich gedacht, plötzlich sieht sie alt aus, und uns eine Pause gegönnt, erneut Kaffee aufgesetzt. Milch, Tassen, Zuckerdose. Der Kaffee blubberte durch den Filter, ich setzte mich wieder.
    »Warum hast du mich nicht geholt, Gertrud?«, habe ich endlich gefragt. »Warum nicht?«
    Stille, nur das Blubbern der Kaffeemaschine, eine Fliege surrte durch den Raum.
    »Ich weiß nicht«, hat sie endlich gesagt. Ihre Stimme war ein Flüstern, ein Hauch, zerfiel. »Ich weiß es nicht. Hör auf zu fragen. Es ist alles so lange her. Lass die Vergangenheit. Wirf sie ab. Sonst kannst du nicht leben.«
    »Hast du sie denn abgeworfen?«, hab ich gefragt.
    Wieder Stille, dann: »Nein.«
    Ich habe mich vorgebeugt, eine Strähne ihres Haars genommen, sie um meinen Finger gewickelt. Sie hat sich abgewandt, die Strähne rutschte von meinem Finger, es ziepte wohl ein bisschen an ihrer Kopfhaut.
    »Wo bist du gewesen?«, hat sie gefragt. »In der Zeit nach Tonios Tod. In diesen langen Monaten?«
    Ich zuckte die Schultern. »Überall. Nirgends. Keine Ahnung. Zucker?«
    »Wie hast du gelebt?«, fragte sie. »Wie kamst du zu Geld?«
    Da habe ich endlich zurückgedacht.
    An eisige Straßen in kalten Ländern, an Rauch, der aus Schornsteinen stieg, Fäden, die in die Höhe zogen, den Himmel zerschnitten, rasches Dunkeln. Ich hab an sattgrüne Urwaldblätter gedacht, Mangrovenwälder, Sonne, Meer, Ozeane, fremde Gerüche, fremde Berührungen und immer wieder Kälte und noch lange nicht zu Ende gefroren und alles wie ein Traum, aber nicht meiner.
    Nachts schlief ich, wann immer es ging, bei geöffneter Tür, hatte Angst vor geschlossenen Räumen.
    »Eines Tages!«, hab ich oft geflüstert. »Eines Tages …«
    Immer der Wunsch nach Zukunft und wenn der Wunsch zu groß wurde, trieb es mich weiter. Dann stand ich auf den Bahnhöfen und wählte aus Richtungen und Zielen, blindlings, ohne Plan, und schickte mich fort, Hauptsache fort.
    In der Flüchtigkeit samtener Augenblicke ließ es sich gut leben. Ich mochte es, wenn das Licht sich im Rotwein spiegelte, wenn Tabakschwaden mich einhüllten und das Licht diffus machten und grau.
    Da lächelte ich mich und andere in den siebenten Himmel hinein, da hängte ich mich an das Leben oder an das, was ich dafür hielt. Ich erschrak nicht, wenn ich eine fremde Hand auf meinem Knie spürte, im Gegenteil, ich ergriff sie, rauchte meine Zigarette zu Ende, fing die fremden Finger ein und führte sie weiter.
    Es war, als ob ich neben mir stünde und mir zusähe, wie ich lächelte, lachte …
    Und weinte dann.
    Weil ich plötzlich wieder ahnte, was Wärme war.
    Weil ich plötzlich wieder spürte, was …
    Und berührte mich mit Körpern, die gut waren und sehnig und zärtlich …
    Und lächelte unter Tränen, wenn sie ihre Sprachen auf mich legten, von denen ich oft nicht eine Silbe, nicht ein Wort …
    … wenn sie die unverständlichen Laute ihrer Sprache auf meinem Körper ausbreiteten und sie wieder fortschlürften, einschlürften …
    Immer hatte ich Angst mich zu versäumen, mich nicht mehr anzutreffen in den Armen des Glücks , wollte es, das Glück, festhalten aus tiefstem Herzen, aber wenn der Morgen einbrach in den diffusen Nebel meines Rausches und die Spuren der Nacht und die Nacht selbst nicht mehr zu verdecken vermochte, floh ich mit wehenden Fahnen vor dem Ersticken.
    Lippenstift auf dem Kopfkissen und mein Gesicht im Spiegel eines abgefuckten Badezimmers, verschmiert und abgefuckt wie der Spiegel selbst, meine Haare strähnig, meine Hände schweißig; kalte, dünne, verlorene Finger.
    Im Bett, auf den Kissen, manchmal einer hingebreitet, fremd, nackt, grell wie der Morgen und ich … bin abgehauen.
    »Er ist tot«, hab ich in den Spiegel hineingeflüstert und wusste das endlich und vergaß es doch immer wieder. »Tot und gestorben. Kein Hemd wird jemals mehr an ihm leuchten, kein weißes, kein blaues, auch kein gelbes.«
    Und bin abgehauen. Immer wieder. Immer wieder ans Meer. An andere Meere. Niemals mehr an jenes. Harsche Brisen. Sturmböen. Sand an den Füßen. Weiß gischtende Wellenberge. In der Dämmerung verlor sich die Grenze zwischen Himmel und Ozean.
    In allen Bildern große Stille, tiefe Sprünge und immer die Kälte dieser Nässe von Tonios Körper an meiner Hand – die hatte sich eingeprägt in alle Poren meiner

Weitere Kostenlose Bücher