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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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Haut –, die wurde ich nicht mehr los.
    Ich war am Rand, hab ich in Gertruds Küche angesichts von Gertruds Schweigen gedacht, am Abgrund und die Bilder, die ich noch habe, sind wohl jene, die mich zurück in die Mitte lenkten, wie feine Nadeln stecken sie auf der Landkarte, die sich unsichtbar durch meinen Körper zieht.
    Wieder Blitzlicht und andere Bilder und je näher ich mich an daheim brachte, desto dichter die Erinnerung.
    Zuletzt lag ich an dichtbevölkerten Stränden im ägäischen Sommer. Die Tage flirrten in die Sonne zurück, als wären sie nicht gewesen. In der Mittagszeit wurden die Möwen zu Glasgebilden, sonnendurchglüht und durchsichtig am Rand und weiße Federwolken schienen so nahe, dass man sie zu greifen glaubte.
    Ich begann zu schweigen, kroch hinein in die Stille, wollte alle Sprachen verlernen auf dem Weg zu mir selbst, zu der Nässe auf meiner Hand.
    Ich träumte von den Tagen, die wir gehabt hatten. Die schön gewesen waren, schön. Festliche Kleinode. Die, hätte man sie schmecken können, man sich auf der Zunge hätte zergehen lassen. Langsam. Feierlich.
    Ich träumte von der Zeit, die aus der Uhr getropft war, unsichtbar, unspürbar, und die nicht gereicht hatte.
    Und dann … dann begann ich … irgendwann in mir … plötzlich … etwas Fremdes zu spüren, etwas, das nicht dahin gehörte, nicht in mich, nicht in meinen Körper. Es machte mir Angst, einen diffusen Schrecken. Einmal noch Glück, hab ich gedacht, einmal noch tanken, bevor ich sterbe.
    Ich hab an Dorothee gedacht, zum ersten Mal in diesen Monaten, an Dorothee, die irgendwie meine Mutter war. Ich kehrte heim.
    Es war Mai, alles roch nach Frühling, nach Sommer schon fast, aber mich ekelte vor allen Düften, ich ertrug sie schwer. Ich stieg aus dem Zug, schulterte meinen Rucksack, spazierte den Bahnsteig entlang in die Halle. Alle Sehnsüchte schienen gestillt. Nach dem Meer, der Weite, den Stränden. Immer wieder hatten Züge mich ausgespuckt, hierhin und dorthin in kühlem Gleichmaß, in kühler Regelmäßigkeit. Nichts war geblieben, nur das Staunen, dass es mich nicht in ihr Rattern hineingezogen hatte, dass das Unbestimmte unbestimmt geblieben war und das Ungewisse ungewiss.
    Tonios Tod hatte alle und alles getrennt. Er war für immer, das wusste ich endlich, wie Tode eben sind, aber trennte auch uns Überlebende.
    54 Rechtzeitig, bevor Dr. Borger in die Innenstadt zum Essen ging, war die angeforderte Krankenakte eingetrudelt. Er hatte sie eingepackt und mitgenommen, um sie sich nach dem Essen quasi als Höhepunkt zu genehmigen. Die letzten Schwaden der Zigarre lösten sich im blauen Septemberabendhimmel auf, Espresso und Cognac waren geleert, Borger öffnete die Akte und begann zu lesen.
    Als er fertig war, lehnte er sich zurück, atmete tief durch, lockerte den Knoten an seiner Krawatte, schaute ein wenig in die Luft und hob schließlich die Hand, um dem Kellner zu winken. Diese Neuigkeit vertrug einen weiteren Cognac.
    55 Fotos hingen hinter dem Esstisch an der Wand. Ein kleiner Junge, eine junge Frau, ein Mann. Ich schaute sie an, blieb hängen am Gesicht des Mädchens und plötzlich war es wie ein Fließen, ein Gefühl, das wie Wärme in mich rieselte. Ich staunte und plötzlich kroch ein Gespenst aus meiner Erinnerung, ein Nebelgespenst, so vage, so faserig, dass ich wusste, seine Entpuppung würde noch auf sich warten lassen.
    »Ich wusste gar nicht, dass …«, begann ich und deutete auf die Fotos.
    »Nein«, sagte sie, »natürlich nicht. Woher auch. Du warst ja weg.«
    Wir schwiegen. Lange. Es war dunkel geworden, nur das kleine Küchenlicht brannte.
    »Vielleicht fährst du einfach wieder zurück nach Straßburg«, sagte sie.
    Ich nickte. »Ja«, sagte ich, »vielleicht ist das am besten.«
    Wieder Schweigen. Aber in mir brannte eine Frage. »Deine Kinder«, begann ich und wusste nicht weiter.
    »Ja«, sagte sie, »meine Kinder. Genau.«
    »Wie alt?«
    »Fünf«, sagte sie. »Moritz ist fünf.«
    »Und das Mädchen?«
    Sie zögerte. Nur kurz. Dass ich es gerade bemerkte. »Zwanzig«, sagte sie.
    Ich nickte. »Zwanzig«, wiederholte ich. »Dann hast du also im Jahr danach deinen Mann …«
    »Ja«, sagte sie. »Genau.«
    »Schön«, sagte ich, »schön. Bist du glücklich?«
    Sie schwieg, nickte dann.
    »Ich nicht«, sagte ich und musste mich räuspern, weil meine Stimme ein bisschen blechern klang, »also nicht nicht glücklich , ich meine, ich habe keine Kinder.«
    Wieder nickte sie.
    »Wie heißt

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