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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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hell durch das Dunkel, ich spüre seine Wärme von vor Stunden, als ich ihn das letzte Mal in meinen Armen hielt.
    Er wird sterben. Ich weiß es noch nicht. Ich liege in unserem Bett und schlafe. Deshalb wird er sterben. Weil ich nicht aufgepasst habe. Weil ich nicht da war. Weil ich geschlafen habe. Ihn nicht vor seinem Übermut bewahrt habe, vor seinem Leichtsinn.
    Es ist merkwürdig, aber in meinen Träumen läuft immer alles in Zeitlupe ab, in meinen Träumen ist Gertrud gar nicht da. Ich aber, ich sehe Tonio sterben, sehe, wie ihn die Wellen zerschmettern, der Sturm ihn umtost, und alles in Zeitlupe, was es schlimmer macht, weil es doppelt so lang dauert, weil wir den Schmerz doppelt so lang spüren, er und ich.
    Alles ist lauter in der Nacht. Jedes Geräusch. Der Sturm. Die Wellen. Die Schritte auf den Steinen. Sein Schrei. Als er versank. Im Wasser. Im Tod. Schwarze Luft. Schwarzes Wasser. Weit. Ein Meer.
    Er war ein guter Schwimmer, zeit seines Lebens, auch im Sterben. Ich sehe, wie er mit der Gewalt um ihn herum ringt, wie er zu staunen beginnt, als er erkennt, dass alles … vorbei sein wird.
    Irgendwann ist er fort, das Meer plötzlich still, ölige schwarze Masse, der Sturm ein kleiner Wind. Leer alles, still.
    Auch ich. Still. Wie nie zuvor. Als er verschwunden war. Und sich nicht mehr wehrte. Und sein Herz nicht mehr schlug. Sein Herz stillstand. Verschwunden. Sein Körper. Seine Wärme. Und irgendwann … auch die Erinnerung daran.
    Die Donau. Hier, jetzt.
    Wie schön sie ist. Glatte Oberfläche, manchmal ein Flirren, als schrammte der Fluss den Himmel entlang. Die Sonne blendet, die Doppelsonne, die am Himmel, die im Wasser. Spaziergänger in der Ferne gehen hinein ins Sonnengold im Fluss, werden schwarze Schatten, lösen sich auf im blind machenden Flirren. Goldlichter auch von hinter den Wolken. Zwei Hunde, schwarz und weiß, Pablo und Maja. Spitze Schreie junger Mädchen heben sich wie weiße Möwen in die Luft.
    Ich schließe die Augen und kehre mit meinen Gedanken zurück in Gertruds Küche. Wir haben Wein getrunken, vielleicht waren wir ein bisschen beschwipst und dadurch mutig geworden, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Antworten zu geben.
    »Ich bin zu ihm hingelaufen«, hab ich gesagt, »am nächsten Morgen, als sie ihn geborgen hatten. Sie ließen mich zu ihm. Als sie mich sahen, öffneten sie mir schweigend den Kreis. Ich habe ihn berührt und hatte augenblicklich diese Stille in mir, diese Stille, die von seinem Herzen kam. Ich berührte ihn immer wieder, strich über seinen Körper, spürte die Stille, spürte, dass sein Herz nicht mehr schlug, spürte seine Wärme nicht mehr, spürte, dass er schon entwichen war, entwichen in ein fahles Schimmern, in ein dunkles Leuchten.
    Nässe sammelte sich um ihn, Nässe vom Meer, Nässe von der Tiefe. Ich spürte sie an meinen Händen und dann kam der Schmerz, begann mich zu überschwemmen.
    Ich wusste auf der Stelle, es würde weh tun wie nie etwas zuvor. Ich wusste, es würde mich an den Rand bringen, dorthin, wo es leicht ist, abzustürzen.«
    Ich habe innegehalten, Gertrud angeschaut, sie hielt ihr Weinglas in den Händen, schaute hinein, ich konnte ihre Augen nicht sehen. Ich habe den feinen Narben in mir nachgespürt, dem alten Schmerz.
    »Ja«, sagte ich und hörte nicht auf, Gertrud anzuschauen, bis sie ihr Gesicht mir zuwandte, ihre Augen waren undurchdringlich.
    »Ich kniete«, fuhr ich fort, »an Tonios Leichnam und hatte diese Stille in mir, die aus seinem Herzen kam und die ich lange, lange nicht loslassen würde. Sie war ein Schutz, ein Schild, ich nahm sie mit hinaus in die Welt, sie hat mich begleitet, sie machte es mir möglich zu gehen, meine Reise anzutreten. Schließlich zogen sie mich von ihm fort, sie sprachen auf mich ein, eine Frau war da, sie hielt mich in ihren Armen, murmelte leise Worte, Trostworte wohl, aber ich hörte sie nicht. Ich verstand sie nicht. Ich hörte nichts. Nur dass sein Herz nicht mehr schlug.«
    »Hör auf, Hanna«, sagte Gertrud, »ich weiß das doch alles.«
    Aber ich konnte nicht aufhören. Ich redete und redete. Leichter Wind war aufgekommen, säuselte durch die Bäume, wir hörten ihn durch die offenen Fenster.
    »Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah und sonst …«, ich schüttelte den Kopf, lauschte in mich hinein, »erinnere ich mich an nichts.«
    Nur dass ich dann ging. Dass ich meinen Rucksack packte und verschwand. Weg von der Insel. Weg aus Griechenland. Kein schwarzer Sand

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