Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
Aber sie selbst hatte keine Ahnung davon. Auch das war offensichtlich. Dass sie alles verdrängt hatte. Alles. Tonio. Seinen Tod. Sie wusste nichts. Sie wusste nichts mehr.«
    Pause. Kopfschütteln. Staunen nach all den Jahren.
    »Ich bin hin zum Auto, da stand sie, dieses abgemagerte Mädchen mit dieser Kugel vorm Bauch, sie fiel mir in die Arme und sagte: Hilf mir! Ich sterbe! Sie sagte: Ich habe ein Geschwür, einen Krebs, es tut so weh, es ist so hart.«
    Wieder Pause, Dorothee dachte nach, hatte dieses ausgehungerte Ding vor Augen mit diesem Bauch, den sie vor sich hertrug wie ein giftiges Geschwür.
    »Mein erster Gedanke war: Krankenhaus. Natürlich. Aber sie schien so müde, und ich hab den Taxifahrer bezahlt und sie ins Bett gebracht und sie war auf der Stelle eingeschlafen.«
    Dorothee schaute ihren Mann an, ganz ruhig jetzt, gefasst, sicher. »Ich habe ihn angerufen, er ist gekommen und hat sich an ihr Bett gesetzt. Sie schlief zwei Tage lang. In den kurzen Wachpausen haben wir ihr zu trinken gebracht, zu essen. Ich habe ihren Blutdruck überwacht, ihren Kreislauf. Wir haben sie gewaschen, gefüttert wie ein Kind. Wir haben uns Urlaub genommen, um für sie da zu sein.«
    »Warum haben Sie sie nicht ins Krankenhaus gebracht?«
    Sie dachte nach, horchte in sich hinein. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es war wie ein Ausnahmezustand, wir drei allein auf einer Insel. Wir haben nicht klar gedacht. Wir haben sie einfach umsorgt. Der Bauch war hoch, nichts deutete darauf hin, dass sie rasch entbinden würde. Ich dachte, wir hätten noch Zeit. Noch zwei, drei Wochen. Und sie war so glücklich jetzt daheim zu sein. Fühlte sich sicher.«
    »Was hat sie erzählt?«
    »Nichts. Gar nichts. Sie schien alles weggelegt zu haben, verdrängt. Wir haben nicht nachgehakt. Wir dachten, es würde schon von alleine kommen. Und sie schlief ohnehin die meiste Zeit.«
    »Dann?«
    »Dann …«, sie seufzte. »Drei Tage nach ihrer Ankunft setzten plötzlich die Wehen ein. Es hat uns alle völlig überrascht.«
    Sie schüttelte den Kopf, immer noch erstaunt auch in der Erinnerung.
    »Sie saß zum ersten Mal mit uns auf der Terrasse, hatte Grießbrei gegessen, ein Lieblingsgericht aus ihrer Kindheit. Das hatte sie sich gewünscht. Grießbrei. Sie schien ruhiger, aber immer noch erschöpft. Ich wollte mit ihr reden, ich wollte, dass sie ihren Zustand begriff. Anschließend, so hatten wir beschlossen, würden wir sie ins Krankenhaus fahren und dort sollte sie in Ruhe ihr Kind zur Welt bringen.«
    Sie stockte, wandte sich an ihren Mann. »Ich habe Durst«, sagte sie, »bringst du mir Wasser?«
    Er stand auf, ging ins Haus, kam mit einem Krug Wasser und vier Gläsern zurück. Sie trank, sprach weiter. »Aber plötzlich ging alles so unfassbar schnell. Plötzlich schrie Hanna auf, griff sich an den Bauch, schrie, wurde panisch, schluchzte: Ich sterbe! Ich sterbe! Und ich sagte: Nein! Nein, Hanna, du stirbst nicht, du bekommst ein Baby. Sie schaute mich verständnislos an, wusste nicht, wovon ich sprach, wollte es wohl nicht wissen.«
    Sie schaute ihren Mann an. »Er hat sie in die Arme genommen, seine Hanna, hat sie beruhigt, und plötzlich war sie wieder ein kleines Mädchen, das nur ihn als Vater gehabt hatte, niemanden sonst. Ich sagte, ich rufe jetzt das Rote Kreuz, die Sanitäter, aber er hatte sie schon hochgehoben, sie stöhnte, ächzte, die Wehen kamen in kurzen Abständen. Er sagte, wir haben keine Zeit mehr für das Krankenhaus, trug sie ins Haus, in ihr Zimmer. Er sagte, du musst sie entbinden, du bist doch Ärztin.«
    Wieder nahm sie einen Schluck Wasser, stellte nachdenklich das Glas zurück. »Ich bin Internistin, ich habe nichts mit Geburten zu tun, aber sie lag stöhnend und schreiend in ihrem Bett, was sollte ich tun, natürlich habe ich ihr geholfen, ihr Kind zur Welt zu bringen. Es war schwer, sie war so gar nicht weich, alles war hart und verspannt in ihr, sie hatte solche Angst, hatte alles verdrängt, alles war weg. Nur nicht dieses Kind. Dieses Kind war da. Plötzlich war es da.«
    Sie lächelte, Tränen begannen zu laufen, liefen über ihre Wangen, sie ließ es einfach zu, sprach weiter. »Irgendwann war endlich dieses Kind geboren, dieses Mädchen, und sie war stark, vom ersten Augenblick an, wunderbar stark, sie brüllte wie am Spieß, sie hatte auf die Welt kommen wollen um jeden Preis, sie hatte eine Wanderschaft um die halbe Welt mitgemacht, sie hatte sich verdrängen lassen aus Hannas

Weitere Kostenlose Bücher