Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
glaube«, sagte Herz, »das wissen Sie, Frau Brendler.«
Ihr Kopfschütteln wurde heftiger. »Nein«, stieß sie hervor, »ich weiß nicht, was Sie meinen! Was wollen Sie denn noch von uns?«
Hans Brendler räusperte sich und legte seiner Frau beruhigend die Hand auf den Unterarm.
»Frau Oberwieser«, sagte er, »Herr Herz, wieso konzentrieren Sie sich eigentlich nicht auf Ihre Arbeit und finden den Mörder unserer Tochter. Was hat unsere Enkelin mit Ihren Ermittlungen zu tun? Warum können Sie uns nicht in Ruhe lassen? Wir machen doch wohl gerade genug durch!«
»Herr Brendler«, sagte Franza, »Lilli ist nicht Ihre leibliche Enkelin. Wir wissen das. Und Sie wissen das natürlich auch.«
Er wollte aufbegehren, großer Zirkus, Trara. Aber seine Frau … wollte das nicht mehr. Sie war müde, sie wollte ihr Leben zurück und wusste aber, das würde in keinem Fall mehr gehen. Sie würde sich anders einzurichten haben, alles war verändert durch diese Wahrheit, die sie all die Jahre verleugnet hatte und die nun aber mit unbeugsamer Vehemenz ans Licht drängte. Sie nahm das nun hin, sie wollte sich nicht mehr wehren.
Er aber schon. Er sprang hoch. »Was erlauben Sie sich! Ich werde mich über Sie beschweren! Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?«
Seine Stimme war erregt, sein Gesicht rot angelaufen. »Wie können Sie es wagen, zu behaupten, dass meine Enkelin nicht meine Enkelin ist! Wollen Sie Beweise? Die können Sie haben, Geburtsurkunde, alles!«
»Oh, ich bin sicher«, sagte Herz kühl, »dass Sie das beweisen können. Ich bin da ganz sicher. Sie sind schließlich Anwalt. Wer sonst als Sie, Herr Brendler, weiß, wie er das Gesetz zu beugen hat. Aber wir …«
Wow, dachte Franza, er lehnt sich weit hinaus, mein guter Herz! Sei ein bisschen vorsichtig, der hängt dir eine Klage an.
Sie streckte die Hand aus, wollte sie Herz auf den Arm legen, wollte ihn ein bisschen runterbringen, aber es war nicht mehr nötig, denn plötzlich beugte Dorothee Brendler sich zu ihrem Mann.
»Nein«, sagte sie ruhig und fest. »Nicht mehr. Ist genug jetzt. Schluss. Lass gut sein.«
Für einen Augenblick schaute er sie erstaunt an, dann senkte er den Kopf, schloss die Augen.
Sie strich ihm übers Haar, sein Gesicht wurde ganz weich, begann sich zu entspannen. Franza ahnte die Angst und die langen Jahre großer Ungewissheiten.
Dorothee schüttelte leicht den Kopf. »Ich mag nicht mehr«, sagte sie. »Ich kann nicht mehr. Keine Lügen mehr. Es ist genug.«
Sie rückte näher an ihn heran, legte den Kopf an seine Schulter, begann zu erzählen. Abgewandt. Ihr Mann legte seine Arme um sie, hielt sie fest. Franza und Felix hatten Mühe, sie zu verstehen.
»Ich habe es sofort gewusst«, sagte sie, »ich habe sie gesehen und es sofort gewusst. Sie nicht. Sie hatte keine Ahnung. Sie stand vor mir in diesem lächerlichen Kleid und ihr Bauch wölbte sich, sie stand da und sagte: Ich bin krank. Hilf mir. Ich sterbe.«
»Wer?«, fragte Franza. »Wer, Frau Brendler?«
Dorothee schwieg ein paar Sekunden, holte Luft, um das Ungeheuerliche erträglicher zu machen, und sagte: »Hanna. Natürlich Hanna.«
Für Augenblicke war es still. Ganz still. Und wie immer fragte Franza sich, warum die Stille in solchen Augenblicken, wenn die Welt kurz stehen blieb, immer laut und gewaltig wurde, dass sie in den Ohren dröhnte, in den Adern, in der Luft.
Dorothee Brendler fuhr fort, erzählte von den Stunden, den Tagen, die ihr Leben endgültig aus dem Lot gebracht hatten.
»Sie war lange weg gewesen, die Hanna«, erzählte sie, »wirklich lange, Monate, und nie hat sie etwas von sich hören lassen. Als wäre sie auch tot. Wir haben uns große Sorgen gemacht. Gertrud war allein aus Griechenland zurückgekommen. Eine Woche später wurde Tonio überführt. Wieder eine Woche später begraben. Und Hanna blieb verschwunden. Sie können sich wirklich nicht vorstellen, was wir durchgemacht haben.«
Sie atmete tief, löste sich von ihrem Mann, lehnte sich zurück in ihren Stuhl, ihr Gesicht glich nun einer versteinerten Maske.
»Ich weiß noch, ich war ganz allein an diesem Tag. Wir hatten ja keine Haushaltshilfe mehr, seit die Mädchen ausgezogen waren. Ich war im Garten, habe den Rasen gemäht, plötzlich kam ein Taxi vorgefahren. Und sie stieg aus, unsere Hanna. Haut und Knochen nur, bis auf diese … Kugel. Krank sah sie aus, müde, erschöpft.«
Dorothee schloss die Augen, seufzte, fuhr fort. »Ich habe sofort gesehen, dass sie schwanger war.
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