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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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würde es bringen? Nichts, war ich irgendwann davon überzeugt, denn mir war klar, dass er vehement bestreiten würde, jemals Misshandlungen an meinem Körper gesehen (und behandelt) zu haben.

    Auch habe ich mich viele Jahre mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, meine Pflegeeltern wegen Kindesmisshandlung und die zuständige Sozialarbeiterin wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Für dieses Vorhaben suchte ich mir seinerzeit einen Anwalt auf und ließ mich beraten. Ich erhoffte mir dadurch, dass man meine Pflegeeltern und all jene, die für meine jahrelangen Qualen verantwortlich waren, hinter Schloss und Riegel bringen würde. Für lange Zeit und wenn möglich, lebenslang. Ich wollte, dass sie selbst spüren, wie es ist, eingesperrt zu sein. Ich wünschte mir, man würde sie weit weg von jeglicher Zivilisation in ein Gefängnis stecken, in denen Folter und Erniedrigungen aller Art an der Tagesordnung wären. Sie sollten am eigenen Leib spüren, was es heißt, zu leiden. Ihr Lebensmut sollte genauso wie meiner, von Tag zu Tag schwinden und sie sollten, wie einst ich, Tag für Tag damit beschäftigt sein, wie sie dieser Hölle entkommen könnten.
    So voller Hoffnung ich beim Betreten der Anwaltskanzlei noch war, so durcheinander und niedergeschlagen war ich einige Zeit später beim Verlassen. Es sei äußerst schwierig im Nachhinein meine Misshandlungen zu beweisen, wie der Anwalt meinte. Meine zurückgebliebenen Narben könnte man im Prozess als Verletzungen aller Art abtun. Außerdem müsste ich mir bewusst sein, dass sich all jene Beschuldigten mit allen möglichen Mitteln aus der Affäre ziehen würden. Meine Pflegeeltern würden sich wieder im besten Licht präsentieren. Der Arzt hätte nie derartige Verletzungen behandelt. Die zuständige Sozialarbeiterin hätte keine Auffälligkeiten erkennen können und daher auch keinen Grund gehabt, zu handeln. Dass ich die Sozialarbeiterin einst aufgesucht und sie angefleht hatte, mich von meinen Pflegeeltern wegzuholen, wäre vermutlich nicht einmal aktenkundig und falls doch, könnte man es so hindrehen, als hätte mein Besuch aufgrund irgendeiner banalen Auseinandersetzung mit meinen Pflegeeltern stattgefunden. Dass ich ihr die zurückgebliebenen Spuren von den Misshandlungen gezeigt hatte, daran würde sie sich nicht mehr erinnern können. Am ehesten hätte ich noch eine Chance, was meine Erkrankung der Nieren betraf, wie der Anwalt meinte. Denn zumindest dahin gehend hatte ich mehrere Aussagen von Ärzten, dass es nie so weit gekommen wäre, hätte man mich frühzeitig behandelt. Trotz alledem könne er mir nicht garantieren, dass dieser Prozess zu meinen Gunsten entschieden werden würde. Ganz abgesehen davon könnte sich so ein Strafprozess über Jahre hinziehen. Des Weiteren müsse ich mir im Klaren sein, dass ein derartiger Prozess eine enorme psychische Belastung für mich sei, fügte er hinzu. Ich war hin-und hergerissen. Einerseits wollte ich nicht mehr länger Schweigen und endlich diejenigen zur Verantwortung ziehen, die für all die Höllenjahre verantwortlich waren. Andererseits hatte ich Angst, dass ich dieser Belastung tatsächlich nicht standhalten könnte. Schließlich hatte ich bis auf Frau Stiger niemanden, der zugab, jemals etwas gehört oder gesehen zu haben. Und würde Frau Stiger ihre Aussage auch noch einmal vor Gericht bestätigen? Wie würde es mir gehen, wenn ich mit all diesen scheinheiligen Leuten zusammen in einem Raum sitzen und mir anhören müsste, wie sie alles schönreden würden? Was, wenn ich diesen Prozess verlieren würde? Ich bliebe auf einen Berg von Prozesskosten sitzen und ich würde wieder eine Verliererin sein.
    Viele Monate war ich hin-und hergerissen, bis ich mich letztendlich entschied, nicht vor Gericht zu ziehen. Die Angst, emotional völlig abzustürzen, war zu groß. Und die Vorstellung, meine Pflegeeltern könnten triumphierend das Gerichtsgebäude verlassen, war mehr als nur haarsträubend.

    Vor einigen Jahren stand ich wieder vor jenem Gebäude, das ich damals als letzte Hoffnung sah. Das Gebäude des Jugendamtes. Ich hatte mit der Sozialarbeiterin noch eine Rechnung zu begleichen. Ich wollte sie zur Rede stellen, ihr ein weiteres Mal mein jahrelanges Martyrium vor Augen führen und ihr außerdem sagen, wie verletzt und verzweifelt ich war, als sie mich damals zurück nach Hause geschickt hatte. Was ich mir von diesem Gespräch erhoffte, war schlicht und ergreifend eine Entschuldigung. Ich erhoffte

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