Rabenvieh (German Edition)
auf ihre Uhr, deutete sie mir an, dass ich gehen müsste. Die von mir erhoffte Entschuldigung, auf diese brauchte ich nicht noch länger zu warten. Ich erhob mich vom Stuhl, stellte mich vor ihren Schreibtisch und sagte ihr, dass ich ihre ganze Art verabscheuenswert fände. Sie könne sich nicht einmal dazu herablassen, sich bei mir für ihre unterlassene Hilfeleistung zu entschuldigen, wie ich meinte. Daraufhin drehte ich mich um und ging zur Tür. Beim Verlassen knallte ich die Tür so fest zu, dass man ein Knarren im Türstock hören konnte. Im Flur, unmittelbar neben ihrem Büro standen Stühle und ein kleiner Tisch, auf dem Zeitschriften lagen. Ich nahm auf einen der Stühle Platz, nahm mir eine Zeitschrift und blätterte darin. Ich wollte mir die Bestätigung dafür holen, dass sie keinen dringenden Termin außer Haus hatte, sondern mich nur aufgrund meiner Fragen so schnell als möglich los werden wollte. So war es auch, ich saß gut eine halbe Stunde da, aber ihr Büro verließ sie nicht.
Schlusswort
Unsere Gesellschaft war noch nie in ihrer Geschichte so reich - und doch so arm. In einer Gesellschaft, in der echte Werte wie Liebe, Zusammengehörigkeit, Freundschaft Familie eine immer kleinere Rolle, Materialismus, Konsum, Stress eine immer größer werdende Rolle spielen. Misshandlung von Kindern ist ein aktuelles und großes Thema in unserer materiell ausgerichteten Gesellschaft.
Zahlreiche Fälle von Kindesmisshandlungen erschüttern immer wieder die Öffentlichkeit. Alle sind schockiert und betroffen, dass in nächster Nähe Kinder vernachlässigt, geschlagen, psychisch misshandelt oder missbraucht werden. Aber Kindesmisshandlungen ereignen sich nicht lautlos und ohne Schmerzen. Schläge und andere Angriffe auf den Körper eines Kindes führen zu körperlichen und seelischen Verletzungen. Geschlagen und angegriffen zu werden, löst bei Opfern Trotz, Widerstand, Wut, Rachegefühle, Ohnmacht und Niedergeschlagenheit aus. Außerdem leiden Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen massiv. Als geschlagenes und gedemütigtes Kind zieht man sich zurück. Das Vertrauen eines Kindes wird durch den oder die Täter zerstört und dieses fehlende Vertrauen hat man später der gesamten Menschheit gegenüber.
Ich habe viele Jahre gebraucht, um dieses Buch zu Ende schreiben zu können. Oftmals war ich emotional nach wenigen Zeilen nicht mehr in der Lage, daran weiterzuarbeiten. Der Schmerz und die Erinnerungen waren teils so belastend, dass ich immer wieder in ein tiefes, schwarzes Loch fiel. Wochen und oft sogar Monate verstrichen, ehe ich wieder die Kraft hatte, daran weiterzuarbeiten. Danach blieb mein Manuskript weitere Jahre in einer Schublade – aus Sicherheitsgründen. Ich befürchtete, dass mir das Jugendamt nach dem Ausplaudern meiner Geschichte unter irgendeinem Vorwand mein Liebstes, was ich habe, nehmen würde. Mein Kind. Ob es sich hierbei um einen wahnwitzigen Gedanken meinerseits handelte, oder es Realität geworden wäre, dies wollte ich unter keinen Umständen herausfinden.
Vielleicht finden sie diese Geschichte unwirklich und unheimlich. Aber Kindesmisshandlung ist ein unheimliches Phänomen und wir können es aus der Realität nicht verbannen. Kindesmisshandlungen, welcher Art und Schwere auch immer, sind keine Kavaliersdelikte. Für Kinder und Jugendliche, die ihre Kindheit überlebt haben und aus ihrem Elternhaus bereits ausgezogen sind, beginnt jetzt ein erneuter Überlebenskampf. Angst, angegriffen und gedemütigt zu werden, Angst, ausgebeutet zu werden und Angst vor Zurückweisung. Sie werden ohne professionelle Hilfe kaum eine Chance haben, sich im Leben so zu entfalten, wie es Kinder mit einer glücklichen Kindheit können.
Ich habe dieses Buch aus zweierlei Gründen geschrieben. Einerseits, in der Hoffnung, ein Stück meiner Kindheit aufarbeiten zu können und andererseits, Ihnen als Leser vor Augen zu führen, wie sich eine nach außen hin scheinbar liebevolle und fürsorgliche Familie hinter verschlossenen Türen zu wahren Bestien verwandeln kann.
Jedes misshandelte Kind ist ein misshandeltes zu viel. Sehen Sie nicht weg und verschließen Sie nicht die Augen, denn eine Kindheit sollte nicht durch einen Überlebenskampf, sondern durch Unbeschwertheit, Spiel, Spaß und Freude geprägt sein.
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