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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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mir, sie würde sagen, dass es ihr leidtäte, dass sie falsch gehandelt hätte und dass sie vielleicht doch etwas zu nachlässig gewesen war. Nichts hätte dadurch rückgängig gemacht werden können, aber es wäre ein menschlicher Zug von ihr gewesen und es wäre mir leichter gefallen, damit abzuschließen.
    Mir wurde ganz schwummrig, als ich das Gebäude betrat. Ich klopfte an ihre Tür, betrat ihr Büro und ohne ihr die Hand zu schütteln und ohne, dass sie mir einen Platz anbot, nahm ich wie selbstverständlich auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. Fast mit demselben verdutzten Gesichtsausdruck wie einst sah sie mich wieder an. Sie runzelte leicht die Stirn und ich konnte erkennen, wie sie sich meinen Namen in Erinnerung zu rufen versuchte. Sie hatte sich kaum verändert. In der Zwischenzeit war sie in ein anderes, moderneres Büro übersiedelt, und auch wenn ihr Schreibtisch nun ein größerer war, er war wieder so unordentlich wie damals. Es dauerte eine kurze Zeit, bis es ihr schließlich dämmerte, wen sie vor sich sitzen hatte. »Sitzplatz brauche ich dir wohl keinen mehr anzubieten«, meinte sie. Wie damals fragte sie mich auch an diesem Tag, was sie für mich tun könne. Ich gab ihr keine Antwort, stattdessen starrte ich sie nur an. Innerhalb kürzester Zeit driftete ich mit meinen Gedanken völlig ab. All die Gefühle von damals schwappten hoch. Von der Hoffnung bis zur totalen Hilflosigkeit. Ich spürte, wie ich innerlich zu kochen begann und wie ein Schnellkochtopf jeden Moment zu explodieren drohte. Schließlich fragte ich sie, ob sie sich überhaupt bewusst sei, in welche Hölle sie mich gesteckt hatte, ob sie sich im Klaren sei, dass diese Familie mein Leben zerstört hat und ob sie eine Ahnung hätte, wie verzweifelt ich war, als sie mir damals die Hilfe verweigerte und mich zurück nach Hause geschickt hatte. Ich war so voller Zorn, Wut und Hass. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre meiner Ansicht nach eine Entschuldigung angebracht gewesen.
    Sie hingegen saß mit einem gezwungenen, zweifelhaften Lächeln mir gegenüber, so, als wollte sie jeden Moment sagen: »Sieh dich doch an, ist ja trotz alledem was aus dir geworden.« Das, was ich dann von ihr zu hören bekam, war noch niederschmetternder und dreister als das, womit sie mich damals zurück zu meinen Pflegeeltern schickte.
    »Ja, deine Pflegeeltern waren etwas eigenartige Leute und ich habe auch manches als fragwürdig gesehen. Da du dich aber bei keinem meiner Besuche negativ geäußert hast, war ich letztendlich der Ansicht, dass du mit ihnen gut zurechtkommen würdest.«
    Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. Ihre Worte kamen einer schallenden Ohrfeige gleich. Sie sah manches als fragwürdig, und das war für sie kein Anlass, diese Leute einmal genauer unter die Lupe zu nehmen? Sie hatte mich bei keinem einzigen ihrer Besuche abseits meiner Pflegemutter nach meinem Befinden gefragt. Ich hatte keine Chance, ihr mitzuteilen, was diese Leute tagein tagaus mit mir veranstalteten. Was dachte sie? Dass ich neben meiner Pflegemutter mein Martyrium ausplaudern könnte? Das konnte doch nicht ihr ernst sein! Sie hatte bei keinem ihrer Besuche bemerkt, dass ich ihr völlig eingeschüchtert gegenübersaß? Stets den Kopf nach unten geneigt, damit sie nicht bemerkte, dass meine Antworten auf ihre Fragen nach meinem Befinden nichts anderes als Lügen waren? Diese Frau hatte meiner Ansicht nach ihren Beruf verfehlt. Mein letzter Funke an gutem Benehmen war dahin. Meine Hassgefühle stiegen ins Unermessliche und ich wünschte mir in diesem Moment, sie würde unter fürchterlichsten Schmerzen von ihrem Stuhl kippen.
    Ich konfrontierte sie mit der Frage, warum, wenn sie schon zugäbe, Auffälligkeiten bemerkt zu haben, sie mich damals verdammt noch mal wieder weggeschickt hätte. Ich bekam keine Antwort. Noch einmal stellte ich ihr dieselbe Frage. Wieder antwortete sie mir darauf nicht.
    Eine Frage, die mir seit je unter den Nägeln brannte, wollte ich zumindest noch beantwortet haben. Was war mit Katarina? Das Mädchen, das vor mir bei meinen Pflegeeltern untergebracht war und vom Jugendamt wieder abgeholt wurde.
    Auf diese Frage wich sie mir gekonnt aus, indem sie meinte, dass das hier nichts zur Sache täte. Noch einmal hakte ich nach. Aber auch auf diese Frage bekam ich, wie schon bei der vorherigen, keine Antwort. Auffallend schnell wollte sie mich danach loswerden. Sie meinte, dass sie einen dringenden Termin außer Haus hätte und mit dem Blick

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