Rabenvieh (German Edition)
oder sollte ich zunächst einmal auf heile Welt machen?
Als wüsste er, was in meinem Kopf gerade vorginge, nahm er neben mir auf der Sitzgruppe Platz und begann gleich damit: »Schuld am Ganzen war deine Mutter. Während ich zur Arbeit ging, trieb sie sich unentwegt mit wildfremden Männern herum und ließ euch Kinder allein zurück.«
Ich sprach ihn auf die Misshandlungen meiner Geschwister an, woraufhin er meinte, dass das nichts anderes als unwahre Aussagen von jenen Leuten waren, die die Familie auseinander bringen wollten. Ich wollte es fürs Erste auf dieser Aussage beruhen lassen, denn ich ahnte, würde ich weiter bohren oder seinen Aussagen widersprechen, könnte ich damit möglicherweise einen Streit vom Zaun brechen. Das wollte ich nicht, zumindest nicht bei unserem ersten Aufeinandertreffen, und so nickte ich bei seinen Aussagen einfach nur mit dem Kopf. Hannelore strahlte, anders als mein Vater, sehr viel Wärme aus. Ich mochte sie auf Anhieb und das schien wohl auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn sie setzte sich neben mich und streichelte mir andauernd über meine Hände und überhäufte mich zudem mit allen möglichen Komplimenten. Abgesehen davon fragte sie mich ungefähr alle zwei Minuten nach meinen Wünschen. Ich bräuchte es nur sagen, sie würde auch in das nächstgelegene Geschäft gehen und etwas besorgen, wie sie meinte. Unterhielt ich mich mit Hannelore, konnte ich aus dem Augenwinkel erkennen, wie mich mein Vater beobachtete. Ich fühlte mich irgendwie unwohl dabei. Ich konnte aus den Augen meines Vaters nichts ablesen. Weder Freude, noch Ablehnung und das machte mich unsicher und nervös.
Obwohl uns mein Vater und Hannelore noch baten zu bleiben, brachen wir nach etwas mehr als einer Stunde wieder auf.
Es kam allmählich so, dass ich meinen Vater hier und da besuchte. Manchmal stattete ich ihm auch einen Besuch mit Fabian, meinem Sohn, ab. Mein Vater gab mir mittlerweile doch ein wenig mehr das Gefühl, dass er sich freute, mich zu sehen und er vermittelte mir auch das Gefühl, erfreut darüber zu sein, dass er ein Enkelkind hatte. War ich mit Fabian auf Besuch, tollte er mit ihm im Garten herum und überhäufte ihn mit Geschenken aller Art. Es fiel mir zunehmend schwerer, weiter daran zu glauben, dass er tatsächlich so schlecht war, wie viele behaupteten. Patrick allerdings blieb skeptisch und er ermahnte mich stets, nicht in Euphorie auszubrechen.
Mittlerweile verstrichen einige Monate seit unserem Kennenlernen. Sukzessive begann mein Vater damit, mich anzurufen und sich zu beschweren, wenn ich ihn nicht mindestens drei Mal die Woche besuchte. Des Weiteren begann er anzurufen, wenn er für seine Erledigungen einen Chauffeur brauchte. Bei jedem seiner Anrufe ließ ich alles liegen und stehen, eilte so schnell ich konnte zu ihm und chauffierte in quer durch die Stadt. Manchmal war ich den ganzen Nachmittag mit ihm unterwegs. Ich traute mich nicht »Nein« zu sagen, denn die Angst vor einer möglichen Zurückweisung war viel zu groß. Mein Vater hatte all das natürlich längst durchschaut. Die Folge: Er rief an, ich spurte. Die Ausnahme war, wenn ich in der Arbeit war. Selbst wenn ich zu Hause am Kochen war oder mit den Kindern bei den Hausaufgaben saß, ließ ich alles liegen und stehen. Den Druck, den er auf mich damit ausgeübt hatte, war enorm. Aber um ihn in die Schranken zu weisen, dafür fehlte mir der Mut. Trotz dieser Umstände wollte ich meinen Vater nicht verlieren.
Langsam machte sich in meiner eigenen Familie Disharmonie breit. Die Kinder machten mir zum Vorwurf, dass das Essen unregelmäßiger auf den Tisch kam, dass ich aufgrund des Zeitmangels nicht mehr so geduldig bei den Hausaufgaben half, dass die Wäsche lange ungebügelt blieb. Die Kinder, das waren Lukas, Andreas und Fabian. Lukas und Andreas waren die Kinder aus Patricks erster Ehe. Die Mutter der beiden verließ die Kinder und Patrick über Nacht mit der Begründung, dass sie sich eine Auszeit von allem gönnen möchte. Patrick bekam daher das Sorgerecht für seine Kinder und die beiden wohnten bei uns. Aber nicht nur von den Kindern kamen Vorwürfe, sondern auch von Patrick selbst.
Patrick hatte einen Job in gehobener Position. Er arbeitete viel und hart und das noch dazu im Schichtdienst. Manchmal, wenn ich morgens mit den Kindern außer Haus ging, kam Patrick gerade nach Hause. Kam ich dann mit den Kindern nachmittags nach Hause, verließ Patrick wenig später das Haus, um wieder zur Arbeit zu fahren.
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