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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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wagen, mehr von mir zu verlangen?« Das alles kam vollkommen ruhig heraus. »Ich habe keine Macht über die Männer, die hier herrschen. Ich bin nur eine Hure.«
    Tier lehnte sich an die Wand dem Bett gegenüber und tat sein Bestes, neutral zu wirken.
    »Ich habe seit meinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen, wie die Sonne unterging«, murmelte sie, beinahe, als
spräche sie zu sich selbst. »Manchmal frage ich mich, ob sie immer noch auf- und untergeht.«
    »Das tut sie«, sagte Tier. »Das tut sie.«
    »Telleridge plant eine offizielle Disziplinierung.« Sie legte die Hand flach auf die Decke und starrte sie an, als hätte sie sie nie zuvor gesehen.
    »Was ist eine offizielle Disziplinierung?«, fragte Tier, dem dieser Ausdruck überhaupt nicht gefiel.
    »Wenn ein Sperling einem Raubvogel nicht gehorcht, halten sie eine Versammlung ab, um zu entscheiden, worin seine Strafe bestehen wird. Dann wird der Betreffende im Nest bestraft, und alle Sperlinge sind anwesend. Für gewöhnlich tun sie es einmal im Jahr, nur zur Erinnerung.«
    »Und wer wird diesmal diszipliniert?«, fragte Tier. Er ging davon aus, dass sie ihn nicht auswählen würden, dazu waren sie zu schlau. Sie brauchten keinen Märtyrer, sondern ein Exempel.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie.
    »Collarn«, sagte er. »Oder vielleicht Kissel oder Toarsen. Aber wenn sie schlau sind, werden sie Collarn nehmen. Wenn sie Toarsen wehtun, wird Kissel einschreiten. Wenn sie Kissel schaden, wird Toarsen sich an seinen Bruder wenden - und Avar hat genug Freunde, den Kaiser eingeschlossen, um dem Pfad ernsthaft schaden zu können. Collarn hat außer mir keine engen Freunde, und er ist die Art von Mensch, von der die Leute beinahe erwarten, dass sie ein unangenehmes Schicksal trifft. Wenn es denn eintritt, wird es die Sperlinge nicht sonderlich beunruhigen.«
    »Das dachte ich ebenfalls«, sagte Myrceria leise. »Ich mag Collarn. Er hat manchmal eine scharfe Zunge, aber er ist immer höflich zu denen, die sich nicht verteidigen können.«
    Tier hörte den Kummer in ihrer Stimme. »Es geht um mehr als um Prügel«, sagte er.

    »Alle Jungen werden gezwungen, an der Disziplinierung teilzunehmen - und die Strafe kann in allem Möglichen bestehen«, sagte sie. »Telleridge ist sehr kreativ. Auspeitschen ist das Übliche, aber es gibt noch Schlimmeres. Einen Jungen zwangen sie, Wasser zu trinken … er verlor das Bewusstsein, und ich glaube, er starb. Sie gossen ihm Wasser aufs Gesicht, während er würgte und spuckte. Und als er aufhörte, gossen sie immer weiter.«
    »Könnt Ihr dafür sorgen, dass ich es erfahre, bevor es geschieht?«, fragte er.
    Sie sah ihn immer noch nicht an, aber sie nickte. »Wenn ich es im Voraus höre. Das ist nicht immer der Fall.«
    »Könnt Ihr Collarn warnen?« Wenn das möglich wäre …
    »Morgen«, sagte sie. »Ich werde es selbst tun müssen - eine solche Nachricht kann ich keinem der Mädchen anvertrauen. Und ich darf die Räume des Pfads ebenso wenig verlassen wie Ihr. Morgen sollte früh genug sein.« Sie sprach die Worte schnell aus, als könnte sie sie dadurch wahr machen. »Sie brauchen wahrscheinlich einen oder zwei Tage, um alle zu benachrichtigen.«
    »Ja«, sagte er. »Sagt ihm, er soll einen Grund finden, die Stadt für eine Woche zu verlassen.«
    Sie nickte und wollte aufstehen, aber dann setzte sie sich wieder hin und schlang die Arme um ihre Taille. »Würdet Ihr etwas für mich spielen? Etwas Fröhliches, damit ich schlafen kann?«
    Er war müde, aber sie war ebenso erschöpft, und er hätte ohnehin nicht gleich einschlafen können - nicht mit dem Wissen, dass die Meister einen seiner Jungen für das bestrafen wollten, was Tier getan hatte.
    »Ich werde so schnell noch nicht schlafen«, sagte er. »Musik wäre nett.«
    Er setzte sich aufs andere Ende des Betts und begann, die
Laute neu zu stimmen. Er war gerade damit fertig geworden, die zweite Reihe Saiten in Gleichklang mit der ersten zu bringen, als die Tür aufgerissen wurde.
    Tier hatte sich daran gewöhnt, dass diejenigen, die ihn gefangen genommen hatten, respektvoll anklopften - sogar Phoran klopfte, und es war ohnehin zu früh für einen Besuch des Kaisers. Er setzte also zu einer Beschwerde an, aber dann hielt er vollkommen verblüfft inne, als Lehr den Raum betrat, Tiers eigenes Schwert in der Hand.
    Freude erhellte Lehrs Gesicht, dann verschwand dieser Ausdruck wieder ein wenig, als er an Tier vorbeischaute und Myrceria sah. Er bewegte sich, um den

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