Rabenzauber
keine Antwort, und Seraph war zu lange Mutter gewesen, um Henneas Ausweichen und ihren Versuch, die Aufmerksamkeit von sich zu Tier abzulenken, nicht zu bemerken.
»Mutter?«, fragte Jes.
Er schwankte von einem Fuß auf den anderen und starrte Seraph dabei ins Gesicht, ohne zu blinzeln.
»Ich habe noch weitere Fragen an dich«, sagte sie zu Hennea. »Aber sie werden warten müssen. Jes, es ist alles in Ordnung.«
»Du bist zornig«, stellte er fest.
»Mutter ist oft zornig«, sagte Rinnie zu ihm. »Solange sie nicht zornig auf dich ist, ist das schon in Ordnung.«
Jes schaute auf seine Schwester hinab. »Nicht, wenn sie zornig auf Hennea ist.«
»Also gut«, erwiderte Rinnie, »da magst du recht haben. Aber ich würde mir trotzdem keine Gedanken machen. Hennea soll einfach tun, was ich tue, und Mutter aus dem Weg gehen, bis sie sich wieder beruhigt hat.«
Lehr warf Seraph einen Blick zu, und sie glaubte zu sehen, wie er sich ein Lächeln verkniff, bevor er sich seiner Schwester zuwandte und sagte: »Ihr solltet dieses Gespräch vielleicht lieber führen, wenn Mutter nicht dabei ist.«
Als sie wieder die Straße hinaufstiegen, brütete Seraph weiter vor sich hin. Aber die Schlüsse, zu denen sie zuvor gekommen war, ließen sich nicht von der Hand weisen. Hennea mochte nur ein Rabe mit Geheimnissen sein - aber das war schlimm genug.
Willons Laden, das letzte Gebäude vor dem Tempel, sah dunkel und verlassen aus.
»Er muss immer noch in Taela sein«, brach Lehr das unbehagliche Schweigen. »Ich hatte ganz vergessen, dass er ebenfalls in die Hauptstadt gereist ist. Er wollte uns helfen.
Ich hoffe, er ist nicht immer noch dort, weil er auf uns wartet.«
»Er wird kaum verhindern können, davon zu hören, dass eine Bande von Reisenden den Kaiser gerettet hat«, sagte Seraph. »Ich bin sicher, er weiß, wer das war. Aber wenn ich daran gedacht hätte, hätte ich ihm eine Botschaft geschickt, bevor wir aufbrachen. Andererseits kehrt er ohnehin jedes Jahr einmal nach Taela zurück, um seine Verwandten zu besuchen. Er ist nicht nur in die Hauptstadt gereist, um uns zu helfen - obwohl er das sicher getan hätte, wenn wir ihn gebeten hätten. Aber wir brauchten kein Gold und keine Informationen, nur Magie und Schwerter, und das war nichts, womit ein Kaufmann uns hätte helfen können. Er wird bald wieder hier sein.«
Sie kletterten am Laden vorbei und weiter den steilen Weg hinauf, der zu dem verlassenen Tempel des Pfads der Fünf führte.
Der Tempel war tief ins Herz des Redern-Berges gegraben, und nur seine Fassade zeigte, wo sich der Rest verbarg.
Ein Türflügel lag mehrere Schritt vom Tempel entfernt, und der andere war ordentlich an die Wand gelehnt worden. Es sah aus, als hätte der Troll den Tempel untersuchen wollen, aber als Seraph sich umsah, konnte sie kein anderes Zeichen des Geschöpfes finden. Dann erinnerte sie sich an Karadocs Bericht darüber, dass Ellevanal ihn angeleitet hatte, die vernagelte Tür aufzureißen, und an das Staunen des Priesters darüber, von der ganzen Geschichte nichts weiter als verletzte Fingernägel zurückbehalten zu haben.
Seraph blieb direkt vor dem Eingang stehen. »Würdest du nachsehen, ob hier etwas vom Schatten besudelt ist, Lehr?«
»Das habe ich bereits getan. Ich kann nichts wahrnehmen.«
»Jes?«
Er antwortete nicht, und als Seraph sich nach ihm umsah, starrte er das Dach von Willons Laden an, das wegen des steilen Bergs nur ein paar Schritt unterhalb von der Stelle, wo er stand, aus dem Boden ragte.
»Jes?« Hennea streckte die Hand aus, berührte ihn aber nicht. »Ist alles in Ordnung?«
Er wandte sich von ihr ab und sah Seraph an. »Es ist nichts hier«, erklärte er. »Volis ist tot. Der Waldkönig und Karadoc haben sich um den Rest gekümmert. Lehr sagte doch schon, dass es hier nichts gibt - wieso fragst du mich dann noch?«
Jes war fast immer gut gelaunt, solange der Hüter nicht anwesend war. Er war selten mürrisch oder launisch.
»Hennea, bring Rinnie und Lehr in den Tempel. Jes und ich müssen über ein paar Dinge reden«, sagte Seraph und vergaß dabei, dass sie nicht eins ihrer Kinder ansprach. »Bitte«, fügte sie hastig hinzu, als Hennea erstarrte. »Wir kommen in ein paar Minuten nach.«
Sie wartete, während die anderen hineingingen. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Jes zu, der erneut Willons Dach anstarrte.
Sie überlegte, ob sie einfach warten sollte, bis er bereit war, etwas zu sagen - aber das hier war ihr Sohn
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