Rabenzauber
sie an und schürzte die Lippen. Aber er fragte sie nicht, wer dieser Pirschgänger sei und wieso sein Fluch Schatten schaffen könne, sondern sagte nur: »Wir hatten mehr und mehr Probleme, überwiegend mit Wesen, die wir sonst nur weit vom Dorf entfernt zu Gesicht bekommen: Kobolde und ähnliche Geschöpfe. Sie haben ein paar Ziegen getötet und die Jungen erschreckt, die sich nahe dem neuen Tempel aufhielten. Dann kamen die größeren Geschöpfe - zum Beispiel ein Oger, den Ciros Enkel mit der Axt tötete, auf die er so stolz ist. Wir hatten gerade einen der Jungen begraben, der dabei umgekommen war, als Ellevanal mich rief.«
Karadoc hielt inne und lächelte bei der Erinnerung. »Ich dachte, ich wäre zu alt, dass er mich noch auf diese Weise rufen würde.« Er blinzelte und kehrte in die Gegenwart zurück. »Er sagte mir, dass etwas im neuen Tempel diese Ungeheuer rufe. Er selbst konnte das Gebäude nicht betreten, es sei denn durch mich, und er bat mich um die Erlaubnis, meinen Körper mit mir teilen zu dürfen.«
Hennea gab ein leises Zischen von sich. Seraph berührte das Knie der anderen Frau, damit sie schwieg. Die Zauberer von Colossae hatten ein Wort für ein solches Teilen von Körpern - beschatten nannten sie es.
»Du hast dich also von ihm begleiten lassen«, sagte Seraph. Karadoc nickte. »Wir gingen in den Tempel - ich hatte nach Volis’ Tod die Tür vernageln lassen, aber Ellevanal riss die Dielen ab.« Er warf einen Blick auf seine Hände, und Seraph
sah, dass seine Nägel bis zum Nagelbett abgebrochen waren. Er bemerkte ihren Blick und sagte: »Es schmerzte nicht, als er es durch mich tat. Er führte mich durch den Tempel …« Der Priester schloss die Augen, als könne er all das wieder vor sich sehen. »Wir gingen von einem Zimmer zum anderen. Manchmal standen wir in der Mitte eines Raums und unternahmen überhaupt nichts, aber ich hatte das Gefühl, dass er eindringlich nach etwas lauschte, das ich nicht hören konnte. Am Ende kamen wir zu einem Raum, der gerade eben groß genug war, um aufrecht darin stehen zu können - es war kaum mehr als ein Schrank. Wir knieten im Flur vor der Tür nieder. Ellevanal bewegte meine Hand über den Boden des kleinen Raums, und dann konnte ich es ebenfalls sehen - ein paar seltsame Zeichen, die beinahe aussahen wie Schrift, nur dass sie nicht in geraden Linien von rechts nach links führten, so wie wir schreiben. Stattdessen waren die Symbole zu seltsamen Gruppen zusammengefügt. Ellevanal legte unser beider Hände darauf und …« Er atmete ächzend aus.
»Feuer«, sagte er dann leise. »Eis und Feuer flossen durch meine Adern wie Glassplitter.«
»Bei der Lerche«, flüsterte Hennea. »Ich staune, dass er das wirklich gewagt hat.«
Karadoc sah sie an.
»Er übte Magie durch einen Mann aus, der keine Begabung dazu hat«, sagte sie. »Wenn du versagt hättest, hätte es euch wahrscheinlich beide getötet«, sie sah Seraph spitz an, »Gott oder nicht.«
»Ich weiß nicht, wie lange es dauerte«, fuhr Karadoc fort. »Es fühlte sich an wie Jahre. Aber ich erinnere mich, dass ich sah, wie die Markierungen auf dem Boden verblassten, bevor ich das Bewusstsein verlor. Als ich aufwachte, stand Ellevanal neben mir.«
»Im Tempel?«, fragte Seraph. »Ich dachte, er hätte ihn nicht betreten können.«
»Er sagte mir, wir hätten ihn geläutert«, erklärte Karadoc. »Er hob mich hoch und brachte mich blitzschnell hierher, zu seinem eigenen Tempel. Hat meinen Lehrling beinahe zu Tode erschreckt.« Er lächelte ein wenig. »Danach kamen nur noch wenige neue Geschöpfe. Aber die, die bereits hier waren, waren schlimm genug. Etwas, ich weiß nicht was, hat mich sogar hier im Tempel angegriffen. Ich wäre gestorben, wenn Ellevanal mich nicht gerettet hätte. Zu diesem Zeitpunkt riet er uns auch, zu eurem Bauernhof zu gehen, wo die Reisendenmagie uns helfen würde. Wir waren zwei Tage dort draußen, als der Troll kam.«
»Ich kenne mich mit Zauberei nicht besonders gut aus«, wandte sich Seraph an Hennea, »aber ich denke, mir wäre ein solcher Bann aufgefallen, wenn er im Tempel gewesen wäre, als wir ihn durchsuchten. Das bedeutet, dass der Schatten hier war, nachdem wir in der Nacht, als der falsche Priester starb, den Tempel durchsucht haben.«
Hennea nickte.
»Danke, Karadoc«, sagte Seraph und stand auf.
Er lachte. »Ich bin froh, dass ich helfen konnte.« Er nickte zu dem Tempel hinter sich. »Sie lassen mich nicht einmal mehr sauber machen«,
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