Rabenzauber
immer warten können. Aber war es das Richtige?
Schließlich nickte sie. »Ich werde warten.«
»Gut.«
Tier blieb noch ein wenig bei ihr sitzen, während der Schweiß auf ihrem Rücken trocknete. Dann nahm er mit der Haltung eines Mannes, der zu einem Entschluss gekommen war, etwas von seinem Hals und drückte es ihr in die Hand.
»Das hier ist mit mir im Krieg gewesen und hat mich auf vielen Schlachtfeldern beschützt. Da ich es jetzt wahrscheinlich nicht mehr brauchen werde, möchte ich es dir gerne geben.«
Sie berührte die Kette aus großen Holzperlen.
»Sie sehen nicht besonders gut aus«, sagte er schnell und, wie sie annahm, ein wenig verlegen. »Aber sie wurden von
unserem Priester gesegnet. Hast du Karadoc schon kennengelernt?«
Sie nickte. Der Priester hatte sie aufgesucht, um ihr zum Tod ihres Bruders zu kondolieren. Es war außer Tier der einzige Rederni gewesen, der das getan hatte. Sie war nicht ganz sicher gewesen, wie sie mit ihm umgehen sollte - Reisende hatten für die Lakaien der Götter wenig übrig -, aber er schien ein guter Mensch zu sein.
»Karadoc hat sie mir gegeben, weil ich ihm im Garten geholfen habe, als er sich eines Sommers das Handgelenk brach.«
»Es muss ein wenig mehr als das gewesen sein«, sagte Seraph nachdenklich. »Priester geben Geschenke wie diese nicht einfach so.«
Er erstarrte. »Es sind nur ein paar Holzperlen, Seraph.«
Sie hielt sie an ihr Gesicht und rieb sie an ihrer Wange wie eine Katze, genoss die Wärme, die von dem abgenutzten Holz ausging. »Alte Holzperlen«, sagte sie. »Ich weiß nicht genau, wie alt, aber sie wurden in Liebe gegeben und lange, lange Zeit getragen. Sie trösten mich - haben sie das auch für dich getan, als du weit von daheim entfernt warst?« Sie wartete nicht auf seine Antwort. »Erzähl mir, wie es dazu kam, dass du für Karadoc im Garten gearbeitet hast.«
»Ich war jung«, sagte er schließlich. »Karadoc ist … nun, du hast ihn ja kennengelernt. Er hat sich immer Zeit genommen, um mit mir zu reden, und er hat mir zugehört, wenn ich mich mit meinem Vater gestritten hatte.«
Seine Stimme nahm nicht den Tonfall des Geschichtenerzählens an, und er fuhr nur zögernd fort. »Karadoc brach sich das Handgelenk, das habe ich dir schon gesagt. Sein Garten ist sein ganzer Stolz, und er wurde sofort von Unkraut überwuchert. Ich nehme an, Priester des Gottes aller grünen und wachsenden Dinge zu sein, hat einen gewissen Einfluss auf den Garten eines solchen Mannes.
Er bezahlte einen Jungen dafür, sich darum zu kümmern, aber in der Erntezeit musste der Junge seinem Vater auf dem Feld helfen, und Karadoc konnte keinen anderen finden. Also bin ich morgens ein wenig früher aufgestanden, damit ich ein bisschen in Karadocs Garten arbeiten konnte.«
Seraph lächelte dünn; die Perlen und Tiers Gesellschaft hatten ihre eigene Magie gewirkt. »Er wusste nicht, dass du es warst.«
»Nun ja, ich war nicht sicher, ob ich es mehr als ein- oder zweimal tun könnte. Ein Bäcker steht früh auf, um nicht in der Tageshitze backen zu müssen. Ich wollte nichts versprechen, was ich nicht halten konnte.«
»Und Karadoc hat es herausgefunden«, sagte Seraph. »Und als du kein Geld nehmen wolltest, hat er dir die Perlen gegeben.«
Er nickte.
Seraph zog sich die Halskette über den Kopf. Geschenke konnte man nicht zurückgeben, man musste sie schätzen. Sie würde etwas finden, was sie tun konnte, um ihm seine Freundlichkeit und sein Geschenk zu vergelten. Der Segen einer Reisenden konnte sehr nützlich sein.
»Ich danke dir«, sagte sie. »Ich werde sie lieben und achten, solange sie in meinen Händen bleiben, und sie weitergeben, wie du es getan hast und wie Karadoc es getan hat.«
Sie verfielen in behagliches Schweigen.
»Ein Mann hat mich heute gefragt, was ich tun würde, wenn ich etwas anderes tun könnte, als Bäcker oder Soldat zu sein«, sagte er schließlich.
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich wäre gerne Bauer«, sagte er.
Sie nickte. »Das Land gibt alles zurück, was du ihm gibst, und wenn du wirklich gut damit umgehst, auch ein wenig mehr.«
»Wenn du alles tun oder sein könntest, was wäre deine Wahl?«
Sie erstarrte. Sie kannte sich mit Dörfern aus und wusste, dass das Schicksal der meisten Dorfbewohner schon festgelegt war, wenn sie kaum mehr als Kinder waren und man sie in eine Lehre schickte - oder sie wurden ausgestoßen und konnten niemals etwas anderes sein als umherziehende Arbeiter oder Soldaten. Die
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