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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufgefallen.
    »Dieser junge Mann«, fuhr er fort, »war ein guter König, womit ich sagen will, dass er für Ordnung und Wohlstand unter seinen Adligen sorgte und für gewöhnlich auch verhinderte, dass die anderen Bürger verhungerten. Er heiratete gut,
und seine Gemahlin gebar ihm fünf Söhne. Als die Jahre vergingen und seine Söhne zu Männern wurden, wurde sein Königreich wohlhabender, denn der König legte es sehr geschickt darauf an, dass die benachbarten Königreiche immer untereinander kämpften, statt sein Volk anzugreifen.«
    Der Boden über ihm machte ein Geräusch, als ließe sich ein Zuhörer bequem nieder. Tier fügte den Unbekannten seinem Publikum hinzu.
    Ein Junge, schloss er, obwohl er dafür nicht mehr Beweise hatte als die Willigkeit des Besuchers, sich auch ohne Licht zu bewegen. Es gab Ritzen zwischen den Dielen, die Licht in Tiers Zelle gelassen hätten, wenn sein unbekannter Gast auch nur eine einzige Kerze dabeigehabt hätte.
    Ja, es würde ein Junge sein, der alt genug war, dass man ihm gestattete, allein umherzuwandern, aber noch nicht alt genug, um andere Pflichten zu haben, um die er sich kümmern musste; ein abenteuerlicher Junge, der sich in die dunklen Ecken wagte, in denen man Gefangene hielt.
    »Der König hatte viele der typischen Interessen von Königen. Er jagte und ritt so gut wie die besten seiner Männer. Er tanzte gewandt und spielte die Laute. Keiner seiner Gardisten oder Adligen konnte sich beim Schwert- oder Stabkampf lange gegen ihn halten.« Diese letzte Eigenschaft des Königs hatte Tier immer bezweifelt - wer wäre schon so dumm, seinen König beim Schwertkampf zu besiegen?
    Er strengte sich an, sich den König vorzustellen, und damit Einzelheiten hinzuzufügen, die eigentlich nicht zu der Geschichte gehörten. Er stellte ihn sich als schlanken jungen Mann vor, wie seinen Sohn Jes - aber sein Haar hatte den rötlichen Goldton des Haars so vieler östlicher Adliger …
    Seraph hatte ihm erzählt, einige Barden seien imstande, Bilder für ihre Zuhörer zu schaffen, aber seine Zelle blieb dunkel.

    »Doch am meisten liebte der König das Lernen«, fuhr er mit den traditionellen Worten fort. »Er richtete in jedem Dorf Bibliotheken ein, und in seiner Hauptstadt sammelte er mehr Bücher, als seit dieser Zeit am gleichen Ort zu finden waren. Vielleicht war das der Grund für das, was ihm zustieß.«
    Tier grinste, als er sich erinnerte, wie verächtlich Seraph geschnaubt hatte, als er ihr diesen Teil zum ersten Mal erzählt hatte. Bücher waren nichts Böses, hatte sie hochnäsig verkündet - was Leute mit dem Wissen anfingen, das sie dort fanden, rechtfertigte nicht die Verurteilung der Bücher, in denen es stand.
    »Die Zeit verging, und der König wurde alt und grau, und seine Söhne wurden stark und weise. Die Menschen warteten ohne Sorge darauf, dass der alte König sterben und sein ältester Sohn die Krone übernehmen würde, denn der Erbe war ebenso gemäßigt und weise wie sein Vater.«
    Tier trank einen Schluck Wasser - Erfahrung leitete seine Hand zu der Stelle, an der er die Steingutschale abgesetzt hatte. Er legte eine kleine Pause ein, die ebenso Teil dieser Geschichte war wie die Worte, die folgten. »Wäre das geschehen, dann wäre unser König wahrscheinlich begraben worden und inzwischen so vergessen wie sein Name.
    Eines Abends beschwerte sich der älteste Sohn des Königs über Kopfschmerzen, bevor er zu Bett ging. Am nächsten Tag war er blind und von Abszessen bedeckt, und am Abend war er tot. Die Pest war in den Palast eingedrungen, und bevor sie sich wieder zurückzog, waren auch die Königin und jeder Mann von königlichem Blute tot.«
    Tiers Stimme zitterte beim letzten Wort, denn er hörte die klagende Stimme einer trauernden Frau so deutlich wie seinen eigenen Atem. Er hatte es geschafft - und er fand den Faden von Magie, von dem das unheimliche Geräusch kam.

    Eine Diele knarrte über ihm, näher als das Geräusch der klagenden Frau, und holte Tier in die dunkle Zelle zurück, in der es keine Pest und keine toten Frauen und Kinder gab.
    »Der König wurde ruhelos und verbrachte Stunden allein in seiner großen Bibliothek. Aber niemand achtete sonderlich darauf, denn die Seuche hatte sich schnell auf die Hauptstadt und dann auf die Städte und Dörfer des ganzen Landes ausgebreitet: eine schreckliche, mörderische Krankheit, die einen berührte und blieb, bis das Opfer eine Woche später starb, taub und blind für alles außer seinen

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