'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
später stellte Nora ihren Ford in einer spärlich beleuchteten Gasse nahe dem Hochhaus ab, in dem die Bartels wohnten. Sie stieg aus, schloss ihren Wagen ab und lief direkt auf das Gebäude zu. Von östlicher Richtung trat sie an der Absperrung und der Handvoll Schaulustiger vorbei, und nahm Kurs auf den hell erleuchteten Eingangsbereich. Tommy stand zehn Meter westlich von ihr. Er war von etlichen Bewohnern des Hauses umringt und momentan in einer Unterhaltung mit den Bartels vertieft. Als er Nora durch einen Seitenblick erspähte, winkte er sie zu sich.
Während sie auf ihn zuging, begutachtete sie die Anwohner. Einige von ihnen trugen Trainingsanzüge, andere hatten sich dünne Jacken über ihre Schlafanzüge geschwungen. Wieder andere bedeckten ihre Körper mit biederen Hemden und weiten Hosen. Alle schienen äußerst übermüdet und gereizt zu sein. Julias Eltern machten einen besonders zerfahrenen Eindruck auf Nora. Sie konnten sich in ihren Schlafanzügen kaum noch auf den Beinen halten.
Corinna war knapp eins sechzig groß und im Gegensatz zu ihrem Mann sehr dünn. Die kurzen schwarzen Haare standen ihr sprichwörtlich zu Berge. Unter ihren Augen konnte Nora mehrere Ringe erkennen. Zudem zierten etliche Falten ihr Gesicht, weshalb sie mindestens fünf Jahre älter aussah als sie eigentlich war. Sie wirkte sogar bedeutend älter als Franz, dabei war sie vier Jahre jünger als der 45-Jährige.
„Um wie viel Uhr war das?“
Diese Frage vernahm Nora von Tommy als Erstes, als sie in seine Reichweite kam. Er hatte seinen Notizblock gezückt und schrieb wie üblich alles Wichtige mit.
„Um zehn vor elf“, nuschelte Corinna.
„Und wann haben Sie den Schrei gehört?“
„Das muss um kurz nach elf gewesen sein.“
„Wenige Momente zuvor hatte Julia also eine SMS erhalten und war aus Ihrer Wohnung gestürmt. Ist das richtig?“
Franz nickte. „Das stimmt. Corinna und ich haben oben gesessen und uns mit Julia unterhalten. Ursprünglich wollte sie heute wieder bei Jasmin übernachten, aber sie fühlte sich nicht besonders wohl. Deshalb ist sie kurzfristig daheim geblieben. Im Verlauf unseres Gesprächs piepte dann ihr Handy. Sie hatte wohl eine Nachricht erhalten. Kaum hatte sie diese gelesen, da stürmte sie wie der Wind aus der Tür und lief nach unten.“
„Sie hatten keine Gelegenheit, Ihre Tochter zu fragen, was in dieser SMS stand?“, erkundigte Tommy sich.
„Nein. Bevor wir reagieren konnten, war sie schon auf dem Flur.“
„Sind Sie ihr gefolgt?“
„Nein, wenn Julia sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht sie es auch durch. Ohne Kompromiss. Es hätte überhaupt keinen Sinn gehabt, ihr zu folgen. Sie wäre uns sofort entwischt.“
Thomas hakte nach: „Obwohl Julia sich unwohl gefühlt hat, ist sie wie der Wind aus Ihrer Wohnung gestürmt?“
„Ja, das kam Corinna und mir auch merkwürdig vor. Aber was hätten wir schon machen können? Pubertierende Teenager machen manchmal die seltsamsten Dinge. Das bringt dieses Alter so mit sich.“
„Anscheinend hat sie eine überaus wichtige Nachricht erhalten“, sagte Tommy mehr zu sich selbst als zu den Bartels. Dann trat er einen Schritt auf den Steinplatten vor, die von dem Bürgersteig auf das Hochhaus zuführten. „Sagen Sie, Herr Bartel, kommt Ihnen der Name Stefan Peters bekannt vor?“
„Nein. Wer ist das?“ Franz legte seinen Arm um Corinnas Hüfte und zog sie näher an sich heran. Seine Frau sah aus, als würde sie jeden Moment hyperventilieren. Aber genau wie Franz bestand sie darauf, eine sofortige Befragung durchzuführen, um alle wichtigen Details sogleich an die Polizei weitergeben zu können.
„Kennen Sie ihn?“, richtete Thomas seine Frage an sie, ohne Franz’ Neugierde zu befriedigen. Doch auch die 41-Jährige schüttelte perplex den Kopf.
Im selben Moment ahnte Franz: „Ist das Ihr Verdächtiger? Der Kerl, der sich meine Tochter gekrallt hat?!“
„Sie kennen ihn also nicht?“, umging Tommy die Frage, wobei er seiner Stimme sehr viel Druck verlieh.
„Nein, wir kennen ihn nicht“, unterstrich Franz. „Hören Sie, Herr Kommissar. Ihnen ist doch wohl klar, dass wir Sie in der Luft zerreißen werden, wenn unserer Tochter auch nur ein Haar gekrümmt wird, nicht wahr? Sie haben sich viel zu sehr auf Jasmin konzentriert. Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass dieser Kerl von Anfang an unsere Tochterentführen wollte und Sie mit Jasmin auf eine falsche Fährte gelockt hat?!“ Inzwischen brüllte Franz so laut,
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