'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
dass mehrere Nachbarn zu ihm hinüberstierten. Als er bemerkte, wie viele Augenpaare auf ihn gerichtet waren, ließ er seinen Kopf sinken. „Julia ist unsere einzige Tochter, unser Sonnenschein. Ich könnte mir niemals verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen sollte. Das wäre das Schlimmste, das ich mir überhaupt vorstell…“ Da seine Stimme merklich zu zittern begann, verstummte er. Offensichtlich wollte er sich nicht die Blöße geben, vor den Nachbarn und Beamten ‚schwach’ zu erscheinen.
„Hat Julia sich in letzter Zeit merkwürdig verhalten?“, fragte Thomas unnachgiebig.
„Nein.“
„Hat sie Probleme mit jemandem aus dem Haus? Mit einem Ihrer Nachbarn?“
„Herrgott noch mal, nein! Julia ist ein liebes, zurückhaltendes Mädchen. Weder hat sie etwas mit Alkohol noch Drogen am Hut. Sie lernt den ganzen Tag vorbildlich für die Schule. Außerdem hat sie sehr viele Freundinnen und ist ungemein beliebt. Welcher Irre kann so ein nettes Mädchen entführen? Das will mir nicht in den Kopf! Das muss ein Psychopath sein!“
Auch wenn Tommy beim besten Willen nicht glauben konnte, dass Julia, die er als aufsässig und frech kennengelernt hatte, eine eifrige Schülerin sein sollte, hielt er sich mit einem Kommentar diesbezüglich zurück. Denn natürlich wollte Franz in dieser schwierigen Situation ausschließlich die besten Seiten seiner Tochter herausstellen.
„In Ordnung“, seufzte Tommy. „Ich danke Ihnen für Ihre Informationen und melde mich wieder, sobald ich weitere Fragen an Sie habe.“ Er gab Rafael Contento, der gerade die Treppe aus dem ersten Stock herunterkam, ein kurzes Zeichen, sodass dieser sich fortan um die zerstreuten Eltern kümmerte.
Kaum hatte Rafael sich mit Corinna und Franz entfernt, da trat Nora näher an Tommy heran. „Was ist genau passiert?“, wollte sie wissen.
Bevor Thomas ihr antwortete, ließ er seinen Blick über die anwachsende Zahl der Schaulustigen wandern. Er überprüfte, ob ihm eine Person in besonderer Weise auffällig erschien. Doch die vielen Frauen und Männer wirkten lediglich auf natürliche Weise beunruhigt. Weder stach jemand aus der Menge hervor noch gab jemand sich Mühe, hinter den anderen Gesichtern in der Dunkelheit zu verschwinden. Der Täter hatte sich also nur am dritten Fundort aufgehalten. Ansonsten schien er dem Drang widerstehen zu können, an die Orte seiner Verbrechen zurückzukehren. Oder er war so abgebrüht, in aller Seelenruhe unter den Schaulustigen zu stehen. Allerdings sah Thomas, dass seine Kollegen sich bereits an die Arbeit machten, alle Beobachter zu befragen.
„Eigentlich wollte Julia heute Abend wieder bei Jasmin übernachten“, begann Tommy schließlich an Nora gewandt. „Aber sie fühlte sich unwohl. Deshalb ist sie daheim geblieben und hat sich mit ihren Eltern unterhalten. Dabei bekam sie eine SMS und stürmte plötzlich aus der Wohnung. Einige Minuten später sei ein ohrenbetäubender Schrei durch das Gebäude gedrungen. Die Bewohner seien sofort aus ihren Wohnungen gestürmt, aber von Julia wäre weit und breit nichts mehr zu sehen gewesen. Lediglich einer ihrer Hausschlappen lag unten im Treppenhaus. Dort hat der Täter auch die Buchstaben J. H. sowie H, B und S mit schwarzer Farbe an die Wand gepinselt. Daneben stehen die Ziffern 1, 0 und 8. Es wurde weder ein Pinsel noch ein Farbeimer gefunden. Auch sonst konnte Schuberts Team nichts Hilfreiches entdecken.“ Seine grenzenlose Enttäuschung war Tommy problemlos anzuhören. „Dieser Typ verhöhnt uns. Er lässt uns wissen, dass er uns immer einen Schritt voraus ist und dass er offenbar alles machen kann, was er will.“
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„Habt ihr schon versucht, Julia auf ihrem Handy zu erreichen?“, fragte Nora hoffnungsvoll.
Thomas nickte. „Es ist abgeschaltet und nicht zu orten.“
„Und ich nehme an, dass es keine Augenzeugen gibt?“
„Keinen einzigen.“
Nora deutete auf das Treppenhaus, in dem mehrere Kriminaltechniker nach verwertbaren Spuren suchten. „Gibt es in dem Gebäude Überwachungskameras?“
„Leider nicht. Aber ich gehe jede Wette ein, dass spätestens in der nächsten Woche mehrere Kameras installiert werden. Es wird doch immer erst gehandelt, nachdem etwas Schreckliches geschehen ist“, verlieh Thomas seinem Unmut Ausdruck.
„Haben die Kollegen mittlerweile eigentlich Franz Bartels Alibis überprüft?“
„Ja, ich habe eben mit Dorm gesprochen. Franz war am Freitag von halb sechs morgens bis vier Uhr nachmittags an seinem Arbeitsplatz
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