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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sagte, ich wollte Toby sprechen. Der Mann ging und kam einige Minuten später zurück, um mir mitzuteilen, dass Mr Estover das Revier verlassen hatte. Daraufhin verlangte ich, den Telefonanruf machen zu dürfen, auf den ich ein Recht hatte. Ob ich wirklich ein Recht darauf hatte, wusste ich gar nicht. Meine Kenntnisse in Sachen Strafrecht hatte ich, wie die meisten Menschen, größtenteils aus dem Fernsehen. Der Polizist ging wieder, und dann passierte rund eine Stunde lang gar nichts. Ich wollte gerade wieder anfangen, die Tür zu bearbeiten, als sie sich öffnete und Medler zum Vorschein brachte. Seine Nase war geschwollen und seine Lippe mit zwei Stichen genäht worden. In der Hand hielt er eine Reisetasche, die ich als meine erkannte. Er warf sie mir zu und sagte: »Ziehen Sie sich an, Sir Wilfred.«
    Ich öffnete die Tasche – es lagen einige Kleidungsstücke darin.
    Ich sagte: »Hat meine Frau die Sachen gebracht? Ist sie hier?«
    Er sagte: »Nein. Sie hat sich bei einer Mrs Nutbrown einquartiert, in Poynters, nicht wahr? Draußen bei Saffron Walden.«
    Ich setzte mich auf die Pritsche. Okay, Johnny Nutbrowns Frau Pippa war Imogens beste Freundin, aber der Gedanke, dass sie abgetaucht war, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, mit mir zu sprechen, erfüllte mich mit Unbehagen. Und Enttäuschung.
    Das war mir wohl anzusehen, denn Medler sagte schroff, als wäre es ihm zuwider, mich zu trösten: »Sie hatte keine andere Wahl. Sie wollte Ihre Tochter aus der Schusslinie bringen. Die Presse hätte in kürzester Zeit angefangen, an ihrer Schule rumzuschnüffeln. Die kampieren schon bei Ihnen vorm Haus.«
    »Ja, und wessen Schuld ist das?«, entgegnete ich.
    »Ihre, denke ich«, sagte er knapp.
    Ich widersprach nicht. Wozu auch? Und wenn Imo und Ginny Zuflucht suchen mussten, waren sie in Poynters am besten aufgehoben. Johnny hatte das herrschaftliche elisabethanische Fachwerkhaus ein paar Jahre zuvor gekauft. Es muss ihn ein Vermögen gekostet haben. Ich weiß noch, dass ich damals zu ihm sagte: Offensichtlich bezahle ich dir zu viel! Er behauptete, es habe im achtzehnten Jahrhundert schon mal den Nutbrowns gehört, und er habe immer gewusst, dass es wieder in ihren Besitz kommen würde. In der jetzigen Situation bot es sich förmlich an, weil es ziemlich abgelegen war und weil Pippa, die ein kleiner Technikfreak war, ein topmodernes Sicherheitssystem hatte installieren lassen.
    Ich kippte die Klamotten, die Medler mir gebracht hatte, auf die Pritsche. Anzug und Hemd passten nicht besonders gut zusammen, was bedeutete, dass die Tasche nicht von Imogen gepackt worden war. Vermutlich hatte er oder einer seiner Lakaien einfach wahllos irgendwas hineingestopft. Ich riss mir den Overall vom Leib.
    Medler stand da und betrachtete mich.
    »Suchen Sie nach Blutergüssen?«, fragte ich.
    Er antwortete nicht, und ich drehte ihm den Rücken zu. Als ich mir die Unterhose anzog, blitzte helles Licht auf. Ich wandte mich um und sah ein Mobiltelefon in Medlers Hand.
    »Haben Sie gerade ein Foto gemacht?«, fragte ich ungläubig.
    Ich erntete sein vielsagendes Grinsen, und dann sagte er: »Sie haben da aber eine ziemlich hässliche Narbe auf dem Rücken, Sir Wilfred.«
    »Muss wohl«, sagte ich mühsam beherrscht. »Ich seh sie nicht oft.«
    Ein Mann schaut sich nicht seinen Rücken an. Vielleicht sollte er. Die fragliche Narbe stammte aus der Zeit, als ich dreizehn war und durch die cumbrischen Berge stromerte. Ich war auf dem Red Pike auf einem vereisten Felsen ausgerutscht und hundert Meter tief ins Tal von Mosedale geschlittert. Als ich endlich zum Stillstand kam, war mir die Kleidung vom Rücken gerissen worden, und die Wirbelsäule lugte deutlich durch das zerfetzte Fleisch. Zum Glück hatte jemand meinen Absturz gesehen, und die Jungs von der Bergwacht brachten mich in relativ kurzer Zeit auf einer Trage ins Krankenhaus.
    Die erste Diagnose versprach wenig Hoffnung, dass ich je wieder würde gehen können. Doch nachdem die Ärzte einige Tage an mir herumgedoktert hatten, äußerten sie sich optimistischer, wenn auch noch verhalten, bis sie schließlich sehr zu ihrem eigenen Erstaunen erklärten, dass die Verletzungen zwar schwer seien, ich aber durchaus gute Heilungsaussichten hätte. Sechs Monate später war ich wieder in den Bergen unterwegs, und die einzigen Spuren, die mein Missgeschick hinterlassen hatte, waren ein fester Glaube an meine eigene Unsterblichkeit und eine gezackte Narbe von den Schulterblättern bis

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