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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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wünschte, er täte es nicht, aber er macht es immer.«
    »Ich weiß.«
    »Dann such ihn«, befahl sie. »Wage es nicht, mit mir zu sprechen, ehe du ihn gefunden hast!«
    Das Telefon in seiner Hand erstarb.
    »Mache ich nicht«, sagte er.

8
    Galya wusste nicht, wie lange sie sich im Schatten versteckt hatte, bevor sie sich über die umzäunten Werften bis zu diesem Baugelände mit seinem Schutt und Stahl durchgeschlagen hatte. Sie hatte einen flüchtigen Blick über die Schulter riskiert und gesehen, dass der große Litauer dem Polizisten seine riesige Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Im Loslaufen hatte sie noch das widerliche Klatschen von Faust auf Fleisch gehört und eine kurze Zeit lang die Schreie des Polizisten.
    Vor einem Lagerhaus standen aufgereiht Lastwagen und Container, daneben türmten sich Haufen rostiger Maschinen und riesige Säcke mit Zement. Galya wählte die dunklen Ecken dazwischen und huschte dort entlang, wo die orangefarbenen Straßenlaternen sie nicht erhaschen konnten.
    Bald hörte sie den Motor des BMW grummeln, der über die Straße näher kam und sich auf ihr Versteck zubewegte. Nur ein paar Meter vor ihr tauchte er auf. Er blieb stehen, eine Tür ging auf, und der große Litauer stieg aus, umwabert von seinem eigenen Atem.
    Galya hielt sich eine Hand vor den Mund, damit er nicht die warme Luft sah, die aus ihren Lungen strömte. Er stand da und starrte ins Dunkel. Im ersten Moment war sie sich sicher, dass er ihr direkt in die Augen sah. Sein Körper war vorgebeugt, so als wolle er gerade den nächsten Schritt auf ihr Versteck zu machen, aber dann rief Sam aus dem Inneren des Wagens: »Wir müssen los.«
    »Sie hier«, sagte der Litauer.
    »Keine Zeit. Bestimmt sind schon die Cops unterwegs. Die können jede Sekunde hier sein. Jetzt komm schon, verdammt.«
    Der Litauer drehte sich um und sah ihn an. »Du mir nicht sagen, was tun.«
    »Was?« Sam spähte zu ihm hinaus, das Gesicht fassungslos. »Herrgott, darüber streite ich jetzt nicht mit dir. Steig ein, oder ich lasse dich hier.«
    Der Litauer ließ die Schultern sinken. Er richtete seinen Blick in die Dunkelheit. »Ich wissen, du da«, sagte er. »Ich wissen, du sprechen Englisch. Ich nicht dumm wie dieser Mann. Du besser bleiben im Dunkel. Ich dich finden, du tot. Bruder von Tomas dich finden, du tot. Polizei dich finden, du tot.«
    Galya drückte sich noch weiter ins Dunkel. Der Litauer machte einen weiteren Schritt vor.
    »Ja«, sagte er. »Arturas gehören Polizei. Polizei dich ihm geben. Dann du tot. Arturas dir wehtun, lange wehtun. Dann du tot.«
    Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle und grinste.
    »Jetzt komm«, rief Sam. »Noch mal sage ich es nicht.«
    Der Litauer stieg wieder in den BMW. Noch bevor er die Tür geschlossen hatte, schossen schon die Räder übers Eis, und der Wagen verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Wie lange war das jetzt her? Wie lange hatte sie sich dort in der Dunkelheit verborgen? Das Zittern war unkontrollierbar geworden, ihre Gliedmaßen hatten gezuckt und geschlottert. Galya wusste, dass sie sich bewegen musste, sonst würde die Kälte sie erledigen. Sie hatte so etwas schon erlebt, als die Unterkühlung den alten Vasyl auf dem Nachbarhof umgebracht hatte. Ohne Geld für Heizöl hatte er sich er sich in einem Schrank in einem Haufen Lumpen vergraben und war gestorben. Wie ein Tier, hatte Mama gesagt, das sich sein eigenes Grab gräbt.
    Es war schließlich die Ankunft eines weiteren Fahrzeugs mit der Aufschrift Hafenpolizei an der Seite, die Galya Beine machte. Mühsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und hielt sich dabei im Schatten. Ihre Arme und Beine fühlten sich an, als gehörten sie einem Betrunkenen. Als sie versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen, verlor sie durch die eiskalte Luft sofort das Gleichgewicht.
    Einen törichten Moment lang freute sie sich geradezu über die zunehmende Taubheit in ihren Füßen, weil sie die stechenden Schmerzen betäubte. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass Papa seine Zehen zum Teil durch Erfrierungen verloren hatte.
    Galya wackelte mit den nackten Zehen, damit das Blut weiter in ihnen zirkulierte.
    Durch die aufgestapelten Zementsäcke und die Lastwagen hindurch beobachtete sie, wie in der orangefarben erleuchteten Ferne der Polizist neben seinem zu Boden gegangenen Kollegen kniete. Während er sich auf den niedergestreckten Mann konzentrierte, wagte sich Galya aus der Dunkelheit, um die Straße zu überqueren und in der Nacht zu

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