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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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sagte. Und erleichtert war.
    Warum hätte er erleichtert sein sollen? Vielleicht hatte Herkus ja die falsche Frage gestellt.
    »Darius ist hier«, erklärte Herkus. Diesmal war es eine Feststellung, keine Frage.
    Mit herunterhängender Kinnlade schüttelte Clifford den Kopf und versuchte verzweifelt, eine passende Antwort zu finden. Schließlich sagte er: »Nein.« Die Lüge stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    Herkus zögerte keine Sekunde. Er machte einen Schritt zurück und trat mit voller Wucht gegen die Tür. Clifford jaulte auf und machte einen Satz zurück. Die Kette hielt. Herkus trat noch einmal, dann ein drittes Mal, und die Tür sprang auf.
    »Bleib da«, befahl er Clifford beim Hereinkommen.
    Clifford nickte und setzte sich an einen Tisch.
    Weiter hinten, in eine Nische gekauert, hockten Darius und einer der beiden schwachsinnigen irischen Brüder, die in der Wohnung in der Nähe von Bangor Nutten anschaffen ließen. Herkus meinte sich zu erinnern, dass einer der beiden Sam hieß.
    Von Tomas keine Spur.
    Sam behielt die Hände auf dem Tisch. Sein Gesicht war blass, auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Er sah sehr nach einem Mann aus, der Angst hatte.
    Herkus sprach Darius auf Litauisch an. »Wo ist er?«
    Darius starrte auf die granitene Tischplatte. »Wer?«
    Herkus trat an den Tisch. »Du weißt schon, wer.«
    Darius lachte gequält. »Meinst du etwa Tomas?«
    Sam zuckte bei dem Namen zusammen.
    »Ja«, sagte Herkus. »Ich meine Tomas.«
    »Keine Ahnung.«
    »Sieh mich an«, schnauzte Herkus und beugte sich über ihn. Er roch den Whiskey und die Angst.
    Darius schaute hoch und blickte Herkus an.
    »Wo ist er?«
    Darius zuckte die Achseln. »Wie schon gesagt, keine Ahnung. Ich bin ja nicht sein Babysitter.«
    »Doch, das bist du«, sagte Herkus. Er sprach mit leiser, ruhiger Stimme, damit Sam nicht den Ernst der Lage erriet. »Bei dir habe ich ihn gelassen. Du bist verantwortlich. Ich frage dich noch einmal – und lüg mich nicht an. Wo ist Tomas?«
    »Ich habe ihn in diese Wohnung in Bangor gebracht«, sagte Darius. »Er wollte das neue Mädchen ausprobieren. Dann beschloss er, mit ihr irgendwo auszugehen. Ich weiß nicht, wohin. Das war gegen elf. Seitdem habe ich weder ihn noch sie gesehen.«
    Herkus legte Darius eine Hand auf die Schulter. Unter dem Leder spannten sich die Muskeln. »Du lügst mich an. Ich muss Arturas anrufen. Er wird wütend sein. Du weißt, wie sehr ihm an seinem Bruder liegt.«
    Darius hob die Hände. Sie verrieten die Panik unter der erzwungenen Gelassenheit. »So ist es gewesen. Er hat das Mädchen mitgenommen. Das ist alles. Was soll ich da noch sagen?«
    »Die Wahrheit. Und die wirst du mir erzählen. Früher oder später.«
    Er warf Sam einen prüfenden Blick zu und bemerkte die Abschürfungen und den Dreck auf dessen Händen, so als sei der gestürzt.
    »Du«, sagte er auf Englisch. Er sprach besser Englisch als Darius. »Wo ist Tomas?«
    Der Schwachkopf sah aus besoffenen Augen zu ihm hoch. Er grinste. »Keinen blassen Dunst.«
    Herkus packte alles von dem kurzgeschnittenen Haarschopf, was er erwischen konnte, und schlug das Gesicht des Schwachkopfs auf den Tisch. Noch bevor er es hörte, spürte er das befriedigende Knacken von Zähnen.
    Sam spuckte Blut und winzige Zahnsplitter auf die Granitplatte, sprang auf und tastete nach etwas in seinem Rücken. Wollte der Idiot etwa ein Messer ziehen?
    »Tu es nicht«, sagte Darius.
    Die Wut in Sams Gesicht verwandelte sich in Entsetzen, als er zu begreifen schien, dass, was auch immer er in seinem Hosenbund gesucht hatte, nicht mehr da war.
    »Tu es nicht«, wiederholte Darius lauter.
    Sam schnappte sich etwas von der Sitzbank. Er riss es hoch und richtete es auf Herkus’ Stirn. Ungefähr jedenfalls. Die Pistole zappelte in seiner Hand wie ein an Land gezogener Fisch. Blut tropfte ihm vom Kinn.
    Herkus seufzte. »Du musst sie erst entsichern.«
    Sam starrte ihn einen Augenblick an, dann drehte und wendete er die Pistole in der Hand um und suchte nach dem Sicherungshebel.
    Mit einer einzigen schnellen Handbewegung entriss Herkus ihm die Waffe. Sam glotzte seine leeren Finger an.
    »Das ist eine Glock«, sagte Herkus. »Die hat gar keinen Sicherungshebel. Setz dich hin.«
    Sam gehorchte, während Herkus die Waffe in seine Jackentasche steckte.
    »Ich frage dich noch einmal: Wo ist Tomas?«
    Sam spuckte erneut aus. »Verhammhe Heihe, meine Hähne!«, rief er, Tränen schossen ihm in die Augen. Mit den Fingern befühlte er seine

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