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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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Billige Dinger, das sahsogar ein Mädchen aus der Ukraine. Aber auf dieser vereisten Erde immer noch besser als nackte Füße. Galya holte tief Luft, hielt den Atem an und nahm einen der Schnürsenkel zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit einem leichten Zupfen löste er sich. Sie griff den Schuh hinten an der Ferse des Mannes und streifte ihn ab.
    Der Mann keuchte und schnaufte. »Ja, doch, ich bin auf«, sagte er, die Worte ertränkt in beduseltem Schlaf.
    Galya erstarrte.
    Der Mann öffnete nicht die Augen. Bald setzte sein Schnarchen wieder ein.
    Galya atmete tief aus. Sie machte den anderen Schnürsenkel auf und streifte den zweiten Schuh ab.
    Die Augen des Mannes klappten auf, schauten aber ins Leere. »Ja, ich komme. Immer mit der Ruhe.«
    Erneut sank er in seinen Schlaf zurück.
    Ohne auf den Mief der Socken zu achten, zog sich Galya die Schuhe über die Füße. Sie waren mindestens zwei Nummern zu groß, aber es würde schon gehen. In der verschwitzten Wärme knetete sie ihre Zehen.
    Etwas Glitzerndes erregte ihre Aufmerksamkeit. Dort unten im Fußraum lagen ein Handy und ein paar lose Münzen. Galya beugte sich über den Betrunkenen. Die Münzen klackerten gegen das Handy, als sie sie aufklaubte. Wieder machte der Mann die Augen auf und starrte Galya direkt ins Gesicht.
    »Es muss doch noch früh sein«, sagte er.
    »Ja«, antwortete Galya auf Englisch. »Es ist noch früh. Schlaf weiter.«

9
    Herkus hatte in dem halben Dutzend Bars nachgefragt, in denen Tomas üblicherweise einkehrte. Niemand habe Tomas oder Darius gesehen, hatte es geheißen, und das glaubte er. Herkus belog man nur selten, selbst wenn die Leute nicht wussten, für wen er arbeitete. Er hatte die Sorte Gesicht, die einen beflügelte, die Wahrheit zu sagen. Nur die Allermutigsten – oder Allerdümmsten – kamen auf die Idee zu lügen. In den Bars, die er in den vergangenen zwei Stunden durchkämmt hatte, waren nur wenige Mutige gewesen, dafür jede Menge Dumme. Trotzdem war er sich sicher, dass sie die Wahrheit gesagt hatten, als sie behaupteten, dass Tomas heute Abend nicht durch die Tür gekommen sei.
    Frustriert fuhr Herkus zur letzten Bar, die ihm noch einfiel. Zu dieser Nachtzeit würden die Türen schon verschlossen sein, aber wenn Tomas und Darius Lust hatten, einen zu heben, dann waren die Öffnungszeiten flexibel.
    Er stellte den Mercedes auf der Holywood High Street ab, direkt dem Black Stove Grill & Bar gegenüber. Auf den ersten Blick schien der Black Stove ein exklusiver Laden in einer wohlhabenderen Gegend des Großraums Belfast zu sein. Für viele Gäste war er das auch, aber sein Besitzer war alles andere als vornehm. Nicht, dass er ein Krimineller gewesen wäre, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie Herkus das Wort verstand. Eigentlich war er gar kein übler Bursche. Clifford Collins hatte lediglich bestimmte Vorlieben,die nur Frauen eines bestimmten Berufsstandes befriedigen konnten. Und deshalb gab Clifford von Zeit zu Zeit für Tomas den Gastgeber. Und wenn Clifford dann andeutete, dass er für das Essen und die Getränke, die man Tomas und seinen Freunden servierte, eine Bezahlung erwarte, erinnerte man ihn diskret daran, dass Tomas seine Rechnung beglich, indem er nicht Cliffords Frau anrief und ihr Näheres über die eher exotischen Zeitvertreibe ihres Mannes erzählte.
    Herkus überquerte die Straße. Die schwere Außentür stand offen. Er versuchte die gläserne Innentür zu öffnen, aber die war verschlossen. Drinnen schimmerte ein mattes Licht. Herkus spähte durch die Milchglasscheibe und versuchte, irgendwelche verschwommenen Silhouetten auszumachen, die von Menschen stammen konnten, doch er konnte nicht mehr erkennen als hellere und dunklere Schatten. Ohne die Augen von der Scheibe zu nehmen, klopfte er mit seinen dicken Fingerknöcheln gegen die Tür.
    Eine der dunklen Silhouetten bewegte sich.
    »Ich kann dich sehen«, rief er auf Englisch. »Mach die Tür auf.«
    Er klopfte noch einmal, diesmal fester.
    »Einen Moment«, rief jemand. Herkus erkannte die hohe Fistelstimme von Clifford Collins.
    »Mach endlich auf«, rief er.
    Auf der anderen Seite der Scheibe tauchte ein Schatten auf. Schlösser klickten, eine Kette rasselte. Die Tür öffnete sich zehn Zentimeter, und Clifford spähte durch den Spalt.
    »Ist Tomas da?«, fragte Herkus.
    »Nein«, sagte Clifford. »Seit dem Wochenende habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
    Die Stimme des kleinen Mannes zitterte, aber seine Augen verrieten, dass er die Wahrheit

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