Rachel ist süß (German Edition)
„Ich liebe dich“, flüsterte er mitten in der Nacht völlig erschöpft und sie fühlte sich leer.
Die ganze folgende Woche hielt Inga die freundliche Distanz, die sie sich vorgenommen hatte, und Kai machte, nach einer anfänglichen Frage, ebenfalls keinen Versuch, ihr näherzukommen. Sie schien die neue Situation so zu akzeptieren wie sie war. Wahrscheinlich ist es ihr egal, dachte Inga, als sie am Freitagabend die Türe aufschloss, und ärgerte sich darüber, dass sie nicht dasselbe von sich sagen konnte. Ihr fehlten Kais abendliche Geschichten aus dem Labor und ihre ehrlichen Kommentare zu Ingas Schulalltag. Ihr fehlten die Neugier auf das Leben und die unverhohlene Unschuld, die Kai so attraktiv machten. Ihr fehlte der Blick, in dem sich die Welt so sanft spiegelte. Noch eine Woche und ihr junger Gast würde zusammen mit diesen kindischen Bedürfnissen verschwinden, das hatte sie sich in den letzten Tagen oft gesagt und es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Was immer Kai da in ihr weckte, es konnte nicht gesund sein und hatte sicher aus gutem Grund bis jetzt im Verborgenen gelebt.
In der Wohnung war es ruhig, nur im Wohnzimmer leuchtete der Powerknopf der Stereoanlage. Inga ging hinein, um Kai kurz guten Abend zu sagen, aber das Zimmer war leer. Sie wollte die Anlage ausschalten und sah den Zettel der auf dem CD-Player klebte. Press Play! Es regnet zwar nicht, aber wenn du trotzdem noch Lust hast … ich würde mich sehr freuen , stand darauf.
Inga drückte verwirrt auf die Playtaste und Ulla Meinekes Tänzerin erklang aus den Boxen. Ihre Herzklappen schlugen schon bei den ersten Tönen schnell und schmerzhaft auf den restlichen Muskel ein und sie richtete sich mit der Hand auf dem Brustbein auf. Sie lauschte der Musik mit geschlossenen Augen, bis sie ein leises Geräusch hörte. Kai lehnte in der Tür und sah sie schüchtern an. Etwas in diesem Blick schien direkt mit den trommelnden Herzschlägen in Verbindung zu stehen. Inzwischen bin ich sicher, dass ich sie sehr mag , sang Ulla Meineke mit rauchiger Stimme.
„Das hast du gehört und das hast du erkannt?“ Inga deutete auf den CD-Spieler.
Kai nickte lächelnd. „Ehrlich gesagt war deine Fassung sehr gewagt, aber es ist auch eines meiner Lieblingslieder.“
„Dass du das kennst. Ist nicht gerade deine Generation.“ Inga wusste nicht, was sie tun und sagen sollte.
„Neuzehnjährige dürfen neuerdings ältere Musik auch ohne Begleitung Erwachsener kaufen, weißt du?“
„Ist das so?“ Inga ließ ihren Autoschlüssel an seinem Ring im Takt ihres schnellen Herzschlages um ihren Finger drehen. „Warst du mit Christian in der neuen Nationalgalerie?“
Kai schüttelte den Kopf. „Nein, wieso?“
„Möchtest du meinen Lieblingsblick auf diese Stadt sehen?“ Inga fühlte sich leichter werden und der harte Rhythmus in ihrem Brustkorb wurde weiche Melodie.
„Ich möchte alle deine Blicke auf diese Stadt sehen.“ Kai klang viel zu ernst und schien das mitten im Satz zu bemerken. „Muss ja nicht in einer Nacht sein“, schob sie lächelnd nach.
Sie fuhren eine Weile schweigend durch den Abend und die Distanz der letzten Woche füllte den Wagen mit unsicherem Schweigen.
„Warum wolltest du nicht mehr in meiner Nähe sein?“ Kai schaute so interessiert auf das Handschuhfach, als würde sich dort der Urknall noch einmal wiederholen.
Inga ließ die Straße nicht aus den Augen und suchte nach den richtigen Worten. „Das hatte nichts mit dir zu tun. Ich musste mich einfach wieder auf die Dinge konzentrieren, die wichtig sind, weißt du?“ Sie fand selbst, dass sie verlogen klang, obwohl sie sich bemüht hatte, die Wahrheit zu sagen.
„Mit dir zusammen macht alles mehr Spaß.“ Kai ließ wie immer die Dinge nicht komplizierter werden, als sie waren, und Inga wusste in diesem Moment, dass sie das an ihr liebte. Liebe, dachte sie, welch großes Wort für diese Freundschaft zu einer Frau, die sie kaum kannte.
„Gehst du morgen Abend mit mir tanzen?“ Inga hatte den Satz ausgesprochen, bevor sie ihn zu Ende gedacht hatte. Er hatte in einer unkontrollierten Ecke ihres Bewusstseins gelauert und war ihr von dort direkt in die Stimmbänder gesprungen. Jetzt, wo er als Schall im Innenraum des Autos vibrierte, hatte er alles Bedrohliche für sie verloren.
Kai überließ das Handschuhfach seiner kosmischen Bestimmung und starrte sie verwundert an. Inga grinste zur Seite. „Lass
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