Racheopfer
kommen niemals durch die Kontrollpunkte. Bert wird Sie aufhalten.«
Ackerman beugte sich vor. Das Licht, das vom Korridor hereinschien, erhellte einen Teil seines Gesichts, während die andere Hälfte im Schatten blieb. Er lächelte. »Bert? Nicht ›der Wärter‹? Oder ›Officer Bert‹? Nur ›Bert‹? Offenbar haben Sie eine persönliche Beziehung zu diesem Mann. Das ist fein, denn es bedeutet, dass ich keine Schwierigkeiten haben werde, an dem guten, alten Bert vorbeizukommen.«
10
Jennifer zitterte am ganzen Körper, als sie den Kuss des Revolverlaufs im Kreuz spürte. Ackerman schob sie sanft vor sich her über den Gang, indem er mit der Waffe Druck ausübte. Jennifer war sich nur allzu bewusst, dass der Killer ihr ohne Zögern ins Rückgrat schießen würde, sollte sie versuchen, Bert zu warnen oder sich Ackermans Griff zu entziehen. Er duckte sich hinter ihr, von ihrem weiten weißen Arztkittel vor der Kamera verborgen. Doch Jennifer wusste, dass er mit dieser Taktik nicht weit kommen würde. Wenn Bert auch nur ein bisschen aufmerksam war, würde er Ackerman entdecken.
Die Frage war nur, ob er den Killer auch stoppen konnte. Wenn nicht, hatte sie, Jennifer, Ackerman die Schlüssel zur Freiheit in die Hand gedrückt, indem sie seine Zelle geöffnet und die Sicherheitstür sowie die Tür zum Kontrollraum nicht geschlossen hatte. Jetzt standen nur ein Kontrollpunkt und ein Wärter zwischen Ackerman und dem Hauptflügel.
Cedar Mill war eine psychiatrische Klinik, doch die Mehrzahl der Patienten war auf eigenen Wunsch hier. Ackerman konnte zwar nicht einfach zum Haupteingang hinausspazieren, aber die Klinik war bei Weitem nicht so stark gesichert wie ein Gefängnis. Außerdem hatte er bereits die Uniform eines Wärters aus dem Kontrollraum übergestreift.
Mit zitternder Hand drückte Jennifer den Rufknopf.
Sie merkte an Berts Stimme, dass er den Killer hinter ihr nicht gesehen hatte.
11
Als Bert sah, wie Dr. Kelly über den Gang zurückkam, schaltete er den tragbaren DVD-Player aus, auf dem er sich einen Film angeschaut hatte, und ließ die Tüte Kartoffelchips unter dem Tisch verschwinden. Marla, seine Freundin, hatte ihn auf strenge Diät gesetzt, damit er Gewicht verlor – sie sagte, sie mache sich Sorgen um seine Gesundheit, doch er vermutete, dass sein Übergewicht ihr peinlich war.
Nachdem Bert sich die Krümel von der Brust geklopft hatte, hob er den Blick. Dr. Kelly hatte die Sicherheitstür nun erreicht. Sie drückte auf den Rufknopf und bat, hereingelassen zu werden.
Bert drückte den Knopf an seinem Mikro und fragte: »Haben Sie Ihren Kaffee vergessen, Doc?«
Ein merkwürdiger Ausdruck erschien in ihrem Gesicht, eine Mischung aus Verwirrung und etwas anderem, was er nicht benennen konnte. Er sah, wie sie den Rücken straffte. »Nicht ganz«, sagte sie. »Ich habe ihn den Jungs dagelassen.«
Bert fragte sich, weshalb sie so geistesabwesend wirkte, aber es stand ihm nicht zu, sie danach zu fragen. Schließlich war sie die Psychologin, nicht er.
Er drückte den Knopf, damit sie die Tür öffnen konnte. Dann wandte er sich der kugelsicheren Scheibe zu, die ihn von dem Gang trennte …
… und fuhr zurück, als Jennifer nach vorne flog und mit dem Gesicht gegen das Lexan prallte. Mit einer antrainierten Bewegung zuckte Berts Hand zum Alarmknopf. Doch ehe er ihn betätigen konnte, sah er Ackerman mit einem Revolver hinter Jennifer stehen.
»Wenn Sie auf den Knopf drücken, stirbt sie«, warnte der Killer.
Bert fand sich zwischen Tat und Tatenlosigkeit gefangen. Seine Vorschriften untersagten ihm, den Forderungen eines Geiselnehmers nachzugeben, doch Jennifers tränenüberströmtes Gesicht gebot ihm etwas ganz anderes. Langsam zog er die Hand vom Knopf weg. Wenn man einer Freundin in die Augen blicken musste, deren Leben auf dem Spiel stand, war es mit den Vorschriften so eine Sache.
»Sehr gut, Bert.«
Bert stockte das Herz. Woher kannte dieser Irre seinen Namen? Er begann unkontrolliert zu zittern und fühlte sich wie ein kleiner Junge, der dem schwarzen Mann in die Augen starrt wie das Kaninchen der Schlange.
»Jetzt öffnen Sie die Tür zur Sicherheitsstation.«
Berts Arme prickelten. Flüchtig fragte er sich, ob sich ein Herzinfarkt oder Schlaganfall ankündigte.
»Machen Sie die Tür auf, Bert!«
Doch mit einem Mal zögerte Bert. Er konnte die Tür nicht öffnen. Plötzlich musste er nicht nur an Jennifers Leben denken, sondern auch an sein eigenes. Und er vermutete, dass sie
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