Rachespiel
bemerkte mit Interesse, dass die mutmaßliche Tatwaffe – ein blutbeschmierter Stein – ebenfalls in Griffweite lag. Ein Büschel Haare von derselben kohlrabenschwarzen Farbe wie die des Opfers hing daran. Wenn der Täter einfach den nächstbesten Gegenstand genommen hatte, um der Frau den Kopf einzuschlagen, wies das auf ein Verbrechen im Affekt hin.
Die Frau war älter, als sie auf den ersten Blick aussah, nach den Falten an ihrem Hals zu schließen. Der Körper wirkte geradezu jugendlich. Ihr T-Shirt war längs über dem Brustbein aufgeschnitten worden, sodass eine mädchenhaft schlanke Taille zum Vorschein kam. Sie hatte mehrere Zentimeter lange Narben unter jeder Brust, was eine operative Vergrößerung nahelegte. Jo konnte ihr Gesicht nicht richtig erkennen – es war eine Maske aus Schmutz und Blut mit daran klebenden Haaren, wo das Blut zu einer Kruste geronnen war.
Sexton sah weg, während Jo das alles auf sich wirken ließ. Kreisförmige Klebeelektroden mit Metallknöpfen waren über den Brustkorb der Frau verteilt, von denen mit Klemmen befestigte dünne rote Drähte zu einem Apparat mit diversen elektronischen Anzeigen führten. Ein Rettungsassistent mit Schnurrbart und der gleichen dunkelblauen Uniform wie seine Kollegin kniete davor. Zwei weitere Sanitäter hockten zu beiden Seiten der Frau und wandten Herz-Lungen-Wiederbelebung an. Einer der beiden, mit roten Haaren und einem roten Gesicht, drückte rhythmisch seine übereinandergelegten Handballen auf die Herzgegend. Nach dreißig Pressungen, die er laut mit zählte, lehnte er sich auf die Fersen zurück, damit sein kahl köpfiger Partner zwei Atemstöße in den Mund der Frau blasen konnte, den er an Nase und Kinn offen hielt.
»Wie lange liegt sie schon da?«, erkundigte sich Jo bei Ann, die dabei war, eine Plastikplane auszurollen.
»Jedenfalls sehr viel länger, als ihre bessere Hälfte behauptet«, bemerkte der Rothaarige.
Jo sah auf ihre Uhr. Es war kurz vor Mittag. »Sie ist nicht für einen Aufenthalt außer Haus angezogen, also muss sie in den Garten geflüchtet sein. Das ist der Gatte dort drin, vermute ich. Was ist mit ihm?«
»Schock«, sagte Ann trocken.
»Okay«, rief der rothaarige Rettungsassistent und stellte sich an die Füße des Opfers, während der kahle beim Kopf blieb.
»Auf drei«, sagte Ann und zählte.
Nach einigem Schieben und Ziehen gelang es ihr und den drei anderen, die Frau vorsichtig auf die Plane zu bewegen. Sexton griff sich eine der vier Ecken, woraufhin die vier Männer sie zusammen hochhoben und zum Haus trugen.
Jo schob die Terrassentür ganz auf, damit sie leichter hindurchpassten.
Der Mann am Küchentisch erhob sich nicht. Die Sauerstoffmaske hatte er nicht mehr vorm Gesicht, aber er sah immer noch grau und kränklich aus. Ein großer schwarzer Hund, schon ziemlich alt, wie es schien, lag ausgestreckt neben ihm und döste.
»W-wird sie überleben?«, fragte der Mann mit überschnappender Stimme.
»Wir tun, was wir können«, antwortete Ann knapp.
Jo registrierte, dass neben einer bei den Sportseiten aufgeschlagenen Zeitung diverse Broschüren über die Adoption eines Waisenkindes aus Afrika sowie ein Stapel Kontoauszüge lagen, als hätte jemand eben noch Buchhaltung gemacht.
Die Männer manövrierten die Frau mit einigen Schwierigkeiten durch die Räume, wobei ihr ein paar Haarsträhnen vom Gesicht gestreift wurden.
Jo schnappte nach Luft.
»Sie erkennen sie?«, fragte Ann, während sie zusammen zum Rettungswagen gingen. »Ging mir auch so, als ich ihren Namen hörte. Sie ist ständig in den Promimagazinen. Imogen Cox.«
Doch Jo kannte das Opfer aus einem ganz anderen Zusammenhang. Imogen Cox war die Frau, die auf dem Sexvideo vom Morgen zusammen mit einem unbekannten grauhaarigen Mann Cocktails geschlürft hatte.
8
Nach Auskunft eines der Rettungsassistenten behauptete der Ehemann, einen Eindringling gesehen zu haben, daher bat Jo Sexton, die Luftunterstützungseinheit anzufordern, damit diese die umliegenden Felder und die Küste von oben ab suchte und nach einem Flüchtigen Ausschau hielt. Dann ging sie zurück in die Küche der Toten, wo Jeff Cox nun allein an der Tischkante lehnte. Sie musterte ihn interessiert. Trotz seiner grauen Haare war er gut zehn Jahre jünger als seine Frau und im Gegensatz zu ihr sehr fit und durchtrainiert.
»Sir, ich verstehe, dass das jetzt sehr schwer für Sie ist, aber das Haus muss nach Spuren durchsucht werden, und ich möchte Sie bitten, Ihre
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