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Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Titel: Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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allerdings hatte er oft das Gefühl, auf Messers Schneide zu balancieren. Und er hatte die Sorge, aufgrund seines Alters und des Drucks im Job über kurz oder lang die Diagnose: Als Vater ungeeignet, gestellt zu bekommen. Und jetzt stand ihm das alles erneut bevor: das Gefühl, nicht zu genügen, die tief empfundene Liebe für ein Kind, die sich mit einer ebenso tief empfundenen Sorge und Ohnmacht abwechselte. Er war sich nicht sicher, ob er dazu in der Lage war.
    Hansen tippte den Code ein und drückte die Tür zum Institut auf. Sie traten ein, während in Wagner ein Chor aus Stimmen brüllte, dass sie draußen bleiben wollten.
    »Kein schönes Erlebnis, so was!«
    Eine Hand auf der Schulter; ein freundlicher Blick, der alles sagte, was noch gesagt werden konnte. Paul Gormsen und er kannten sich schon seit vielen Jahren, als Kollegen und Freunde. Allein seine Anwesenheit machte es erträglicher, als er den Obduktionssaal betrat.
    Wagner nickte wortlos und folgte der Bahre mit Blicken, auf der die Leiche in den Raum gerollt wurde. Gormsen begrüßte mit einem Brummeln die übrigen Anwesenden: Jan Hansen sowie Erik Haunstrup, den Leiter der Kriminaltechnischen Abteilung, der in dieser Sekunde hereingestürmt kam, schwer atmend hinter seiner Gazemaske, die roten Haare in wilder Unordnung.
    »Ich muss Sie alle darauf vorbereiten, dass es kein schöner Anblick ist«, sagte Gormsen. »Was wissen wir über sie?«
    »Sie heißt Adda Boel«, antwortete Jan Hansen. »Sie wohnte in der Wohnung über dem Solarium. Frührentnerin, neunundzwanzig Jahre alt. Ging nicht oft vor die Tür, haben die Nachbarn gesagt.«
    Gormsen nickte, hob das Tuch an und zog es von dem noch bekleideten Körper der Leiche. Gesicht und Hals waren eine blutige Masse.
    »Sie ist sehr mager«, stellte er fest. »War da nicht etwas mit einem chronischen Leiden?«
    »Sie hatte eine Lungenkrankheit«, bestätigte Hansen.
    Wagner versuchte sich vorzustellen, wie es war, von Hilfsmitteln und Helfern abhängig zu sein. Wie ohnmächtig mochte sie sich gefühlt haben, gefangen in ihrer kleinen Wohnung, während die Welt um sie herum in die Luft flog. Wenn sie überhaupt Zeit gehabt hatte, irgendetwas zu denken, was er nicht hoffte.
    Gormsen betrachtete den mitgenommenen Leichnam eingehend, dessen Kopf am Rumpf nur noch mit Fleischfasern und Sehnen verbunden war. Der Rest hing in Fetzen und entblößte Speiseröhre und Knochen. Gormsen nickte Erik Haunstrup zu, und gemeinsam begannen sie, Adda Boel zu entkleiden, jedes Kleidungsstück zu registrieren, um es danach in Papiertüten zu versiegeln, die dann ins Polizeipräsidium gebracht werden würden, wo man sie nach eventuellen Spuren untersuchte. Einige Teile der Kleidung mussten herausgeschnitten werden, weil sie mit der Haut verschmolzen waren.
    »Das ist vielleicht eine Bescherung«, murmelte Haunstrup, und Wagner hörte seinen vergeblichen Versuch, aufmunternd zu klingen.
    »Bescherung, ja, das ist richtig«, erwiderte Gormsen und warf einen Blick in die Runde. »Das wird auch eine ganze Weile dauern. Das kann ich Ihnen versprechen.«
    Wagner stand reglos mit seiner Gazemaske daneben und blinzelte lediglich mit den Augen. Er hatte ausreichend Obduktionen beigewohnt, um zu wissen, dass diese sowohl kompliziert als auch hart für alle Beteiligten werden würde. Sogar er konnte auf den ersten Blick erkennen, dass sich der Leichnam in einem schrecklichen Zustand befand und es schwierig werden könnte, die eigentliche Todesursache festzustellen. Anderen, weitaus unerfahreneren Rechtsmedizinern hätten wahrscheinlich die Hände gezittert, aber Gormsen hatte viele Reisen zu den Unruheherden der Welt hinter sich und war etlicheMale mit Explosionsopfern und Massengräbern konfrontiert worden.
    Nachdem die Kleidung entfernt worden war, begann der Rechtsmediziner mit der äußeren Untersuchung der Leiche. Er sprach in ein Diktaphon, das er in der einen Hand hielt, während er mit der anderen die Frau auf dem Seziertisch untersuchte.
    »Die Haut ist stellenweise stark verbrannt, der Körper ist aufgequollen, was darauf hindeutet, dass er großer Hitze ausgesetzt war.«
    Er sprach weiter, während er sorgfältig die Überreste des Halsbereiches untersuchte. Seine Finger in den Latexhandschuhen tasteten über die Hautfetzen und zogen kleine Splitter hervor. Diese versiegelte er in einem Plastikbehälter.
    »Bei der Explosion sind Fremdkörper, wahrscheinlich Teile des Mauerwerks, durch die Luft gewirbelt worden und haben

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