Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
sekundäre
blast injuries
verursacht.
Einblutungen in den Schleimhäuten der Augen sind aller Voraussicht nach durch die Explosion verursacht worden. Der Bereich um Kehlkopf und Zungenbein ist vollkommen zerstört.«
Er sah hinab auf den mageren Körper.
»Sie wiegt ja praktisch nichts. 48,5 Kilo bei einer Körpergröße von 1,70 m. Wenig Widerstandskraft. Die Todesursache kann die schwere Halsläsion in Kombination mit den Folgen der Druckwellen gewesen sein. Aber wir werden uns auch die Organe genauer ansehen.«
Das Letzte sagte er, als würde er mit der Leiche sprechen. Wagner und Jan Hansens Blicke trafen sich über dem Seziertisch. Offenbar wurde dem Kriminalkommissar bewusst, dass der Körper auf dem Tisch das genaue Gegenteil von seiner eigenen Muskelpracht war. Zumindest senkte er sehr schnell den Blick, hatte aber Probleme, sich auf Adda Boels Arme und Beine zu konzentrieren, die nie besonders zum Einsatz gekommen waren. Es waren nahezu keine Muskeln vorhanden, die Glieder waren so dünn wie die eines Kindes.
»Wir müssen uns die Lungen ansehen, wenn wir die Organeentnommen haben. Aber es kann schwierig werden, wenn sie schon von vornherein von einer Krankheit in Mitleidenschaft gezogen waren.«
Wagner betrachtete die Leiche. Das Gesicht war so zerstört, dass es schwerfiel, sich ein Bild von Adda Boel zu machen. Noch vor ein paar Tagen war sie am Leben gewesen, er hatte ein Foto von ihr gesehen, eine schöne Frau mit glänzenden, goldblonden Haaren und einem zarten, fast geheimnisvollen Lächeln. Sie war ein Familienmitglied von jemandem gewesen; die Nachbarin von jemandem; die Freundin von jemandem. Vielleicht hatte sie auch jemanden geliebt? Ob sie, trotz ihrer Krankheit und ihrer Lebenssituation, wohl jemals so etwas wie Liebe und Nähe erlebt hatte?
Plötzlich spürte er das schlechte Gewissen, das hinter seinen Augen stach. Auf diesem Tisch hätte auch Ida Marie liegen können. Sie hätte es sein können, deren Hals in Stücke gerissen war, deren Haare nur noch in vereinzelten Büscheln am Kopf saßen und deren Haut mit Splittern übersät war, so dass sie aussah, als hätte jemand eine Puppe mit Nadeln gespickt. Aber es war nicht Ida Marie. Ida Marie hatte Glück gehabt und er auch. Eine andere hatte ihren Platz eingenommen.
Gormsens nüchterner Tonfall riss ihn aus seinen Gedanken.
»Hmm. Wir müssen uns auch unbedingt das Trommelfell ansehen. Das Ohr ist das empfindlichste Organ, wenn wir über Druckwirkungen sprechen.«
Je weiter die Obduktion voranschritt, desto mehr hörte es sich an, als würde der Rechtsmediziner seine ganz eigene Unterhaltung mit der Toten führen, wenn er seine Überlegungen und Einwände formulierte. Da klingelte Wagners Telefon, er ging in eine Ecke des Saales, wandte den anderen den Rücken zu und ging ran.
»Ja.«
»John Henriksen, vom Brandtechnischen Labor. Ich stehe hier in der Østergade, wir kümmern uns gerade um die Räumung des Tatorts.«
»Ja, mir wurde schon gesagt, dass es ein paar Tage dauern wird.«
Wagner hörte Hintergrundgeräusche. Autos und Stimmen und Laute, die sich so anhörten wie ein Räumungskommando.
»Das wird es auch. Aber ich wollte kurz Meldung geben, dass wir in der obersten Schicht Reste von etwas gefunden haben, die einer Sauerstoffflasche ähneln.«
»Und die stammen aus der Wohnung im ersten Stock?«
»Ganz genau.«
Wagner drehte sich zu der kleinen Gestalt auf dem Stahltisch um. Natürlich. Die Krankheit war offensichtlich schon so weit vorangeschritten, dass Adda Boel eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigte hatte.
»Das könnte zutreffen, wir werden das mit ihrem Arzt klären. Reste, haben Sie gesagt?«
In der Leitung war es still, man hörte nur die Geräusche der Stadt. Dann kam die Antwort des Brandexperten:
»Es gibt Hinweise darauf, dass die Sauerstoffflasche explodiert ist.«
»Aber Sauerstoff ist doch nicht entflammbar? … Einen Augenblick bitte …«
Wagner gab Gormsen und den anderen ein Zeichen und drückte die Tür zum Gang auf. Es verschaffte ihm auf der Stelle Erleichterung, dem Geruch von verbranntem Fleisch und verkohlter Haut zu entkommen.
»Gibt die Sauerstoffflasche einen Hinweis darauf, welche Art von Explosion stattgefunden hat?«
Er zog die Tür hinter sich zu und versuchte, mit gedämpfter Stimme zu sprechen. Ein Laborant in weißem Kittel schlich lautlos an ihm vorbei wie ein Gespenst.
»Könnte sein«, erwiderte John Henriksen. Wagner kannte ihn als einen sehr zuverlässigen
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