Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Woher kennst du sie? Denn du hast sie gekannt, oder?«
Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und lachte laut auf.
»Das ist so krass. Bist du immer so? Hältst du nie die Luft an?« Er nickte in Richtung des Tellers auf ihrem Schoß.
»Jetzt iss endlich auf, verdammt. Und danach machst du dich vom Acker. Das ist ein Befehl,
Mutter
!«
»Und was ist, wenn ich keine Befehle annehme?«
»Dann bekommst du die Hosen voll.«
Für einen kurzen Moment sah sie den Humor in seinen Augen, der sein ganzes Wesen veränderte. Sie bekamen einen milden Glanz, die Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Dann winselte der Hund, und sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst.
»Der will etwas«, sagte er.
Er aß den Rest seines Breis, stellte den Teller auf den Boden und erhob sich.
»My«, sagte er zum Hund. »Such My.«
Er griff sich an den Kopf und zog Mys Strickmütze aus. Dann hielt er sie Kaj hin, der ausgiebig daran schnüffelte. Aufgeregt begann er mit dem Schwanz zu wedeln.
Peter seufzte. Dicte konnte an seiner Körpersprache ablesen, dass er nicht davon ausging, dass diese Geschichte glücklich enden würde.
»Okay«, sagte er zum Hund. »Dann lass uns losgehen und sie suchen.«
Er packte alles zusammen und ging ohne ein weiteres Wort oder einen Blick. Dicte schlang den letzten Bissen herunter, warf sich den Rucksack über die Schulter und folgte ihnen.
KAPITEL 57
»Down-Syndrom?«
Die Krankenschwester nickte. Ida Marie war neben ihm zu Eis erstarrt. Er spürte die Kälte, die sie ausstrahlte und die sich wie Raureif überall im Zimmer ausbreitete.
»Es tut mir sehr leid. Aber es gibt keinen Zweifel. Beim Screening wurde ja bei der Nackenfaltenmessung eine Abweichung festgestellt, die sich bei der Fruchtwasseruntersuchung bestätigt hat.«
Sie sprach professionell und freundlich mit ihnen. Wagnerwar ihr trotz der schrecklichen Situation dankbar dafür. Er benötigte diese Professionalität. Kein falsches Mitgefühl oder sinnlose Solidarität. Nicht die Krankenschwester, sondern sie hatten das Problem.
»Und was machen wir jetzt?« Aus seinem Mund kamen diese Worte, obwohl er ihn nicht bewusst geöffnet hatte. Aber er spürte, dass die Frage nach mehr Auskunft und Information in der Luft lag.
»Die meisten Betroffenen entscheiden sich für einen Abort«, antwortete die Krankenschwester. »Heutzutage werden wenige Kinder mit Down-Syndrom zur Welt gebracht.«
Ida Marie wimmerte leise. Er nahm ihre Hand, die war kalt und weich. Sie saßen im Sprechzimmer der Geburtsstation des Skejby-Krankenhauses. Vor ihnen lagen die Aufnahmen vom Screening ihres gemeinsamen Kindes. Die sagten ihm nicht so viel, anders als Ida Maries schnelle Atemzüge und die krampfartigen Zuckungen, die durch ihren Körper gingen. Wie absurd war dieses Leben. Ihnen wurden gerade Neuigkeiten über das Leben mitgeteilt, das sie gezeugt hatten, und er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens mit dem Tod. Vielleicht war es Zeit für eine Veränderung. Er rieb ihre Hand und räusperte sich.
»Und was ist dieses Down-Syndrom genau? Ist das so ähnlich wie Mongolismus?«
Die Krankenschwester setzte sich auf den Stuhl ihnen gegenüber. Das Rascheln ihres Kittels fand er angenehm. Sie verkörperte genau die Autorität, nach der er im Moment verlangte, und darum war er paradoxerweise froh, dass sie eine Uniform trug.
»Dabei handelt es sich um einen Fehler am Chromosom 21. Diese Kinder zeichnen sich in der Regel durch eine geistige Behinderung aus. Sie entwickeln sich sehr viel langsamer als gleichaltrige Kinder.«
Die Worte waren sorgfältig gewählt und wurden schonend vorgetragen. Aber Wagner sah es vor sich. Ein Kind, das weder lesen noch schreiben lernte und nicht begreifen lernte wie andere.Ein Kind, das niemals erwachsen und selbständig werden, sondern immer abhängig von der Hilfe anderer sein würde. Ein Bürger der Gesellschaft, der in bestimmten Kreisen als nachrangig betrachtet wurde, als jemand ohne Daseinsberechtigung, gerade weil die moderne Wissenschaft es ermöglichte, die Geburt eines solchen Kindes zu verhindern. Ein Kind, das nicht in das Bild des Normalen und Geduldeten passte.
»Und das Aussehen?«, fragte er.
»Früher nannte man es Mongolismus wegen der physiognomischen Merkmale der schräg gestellten Augen und des breiten Gesichts. Die Nackenfalte ist ein Kriterium, natürlich, aber es gibt eine Reihe von anderen Merkmalen, die von Kind zu Kind verschieden sein können.«
»Wie lange haben wir
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