Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
erwiderte er dann. »Die Rechtsmediziner gehen davon aus, dass der Tod zeitgleich mit der Explosion erfolgte.«
»Aber sie wohnte doch im ersten Stock, und die beiden Etagen trennte eine massive Deckenkonstruktion. Was für eine Bombe kann so einen großen Schaden anrichten?«, bohrte der Journalist weiter.
»Wahrscheinlich hat nicht die Bombe allein die Explosion erzeugt«, sagte Wagner. »Adda Boel benutzte ein Sauerstoffgerät, das bei der Detonation der Bombe im Solarium durch den Druck und die Flammen ebenfalls explodierte. Und dann hat der Sauerstoff die Brandentwicklung beschleunigt.«
Die Reporter saßen einen kurzen Augenblick schweigend da. Dicte erinnerte sich an den Anblick des brennenden, verrußten Gebäudes, und auf einmal tauchten unglaubliche Details vor ihrem inneren Auge auf, die sie abgespeichert, aber nicht wieder aktiviert hatte: ein komplettes sechssprossiges Fenster inklusive Rahmen, das in einer gigantischen Löschwasserpfützeschwamm. Eine Frau mit blutverschmierten Schnittwunden im Gesicht von den Glassplittern, die wie Pfeile durch die Luft geschossen waren. Rote Dachziegel, die sich gelöst hatten und zerschmettert auf dem Bürgersteig lagen.
»Wir müssen die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Untersuchung und die weiteren Laborwerte abwarten«, sagte Wagner mit Nachdruck und läutete damit das Ende der Pressekonferenz ein. »Wir werden Ihnen die Details vorlegen, sobald wir welche erhalten.«
»Prima, dann sag ich mal danke schön für heute!«
Christian Hartvigsens etwas rustikaler, jütländischer Duktus beendete die Konferenz. Bo knipste noch ein paarmal halbherzig, bevor er zu seinem Platz zurückgeschlendert kam. Die Journalistin vom
Stiften
stand in der Sekunde auf, als er an ihr vorbeiging, und warf sich ihre Tasche über die Schulter. Dabei traf sie Bo am Arm.
»Oh, Entschuldigung«, sagte die zarte, rothaarige Renate mit einem Lächeln, das Dicte zwar nicht sehen, aber hören konnte.
»Keine Ursache.«
Bo trat galant einen Schritt zur Seite. Dicte verdrehte die Augen zur Decke, spürte aber gleichzeitig ein Stechen in der Brust. Könnte er so etwas tun? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Schon gar nicht jetzt, nach der Geschichte mit dem Solarium und ihrer Wiedervereinigung zwischen den Mauersteinen, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie in letzter Zeit den Alltag und die Routine regieren lassen. Und wenn Bo eine Sache nicht leiden konnte, dann war es Routine. Dafür hatte er zu viel Feuer im Hintern, und das lag nicht nur daran, dass er achtunddreißig war und somit acht Jahre jünger als sie. So ist er nun einmal, dachte sie zum hundertundsiebzehnten Mal. Rastlos hoch drei. Aber eigentlich auch schon hoch zwei, musste sie sich eingestehen.
»Fleischklößchen auf Sellerie?«
»Warum nicht! Ich dachte, es wäre mal wieder Zeit für ein gutes altes Gericht aus Omas Kochbuch?«
Bo war für das Abendessen zuständig. Dicte schnupperte und wurde in die Vergangenheit getragen, aber nicht zu ihrer Großmutter, sondern in ihr Elternhaus und zu ihrer Schwester. Doch die Erinnerungen waren nicht glücklich, deshalb schob sie sie beiseite.
»Was ist an Pizza falsch?«
»Gar nichts. Aber Sellerie ist gut fürs Sexleben.«
Er steckte sich ein rohes Stück von dem Gemüse in den Mund, packte ihre Taille und schob seine Zunge zwischen ihre Lippen.
»Da siehst du«, sagte er triumphierend, als er sie wieder losließ.
»Findest du sie eigentlich sexy?«
»Wen?«
»Du weißt genau, wen ich meine. Die kleine Renate!«
»Das kleine Rotkäppchen?«
Sie kicherte.
»Bist du dann der Böse Wolf?«
Er packte sie erneut, diesmal etwas fester.
»Findest du?«
»Hmm. Ein bisschen. Aber sie wird nicht in deine Nähe kommen.«
Sie standen dicht beieinander. Seine Antwort hatte sie nicht wirklich beruhigt, aber auch nicht beunruhigt.
»Glaubst du, das hat was mit mir zu tun?«, fragte sie und konnte endlich dem Gefühl Luft machen, das sie weitaus mehr beschäftigte als junge, attraktive rothaarige Journalistinnen.
Er schob sie von sich weg und sah sie so durchdringend an, dass sie den Blick senken musste. Er war hart mit ihr ins Gericht gegangen nach ihrem letzten unbedachten Versuch, die Welt zu retten. Er hatte ihr Selbstgerechtigkeit vorgeworfen und die Vermessenheit, sich unverletzbar zu fühlen. Ausdrücke wie: dümmer als die Polizei erlaubt und anderer Leute Leben in Gefahr bringen, waren auf sie niedergegangen.
Das hatte weh getan und Spuren hinterlassen. In der
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