Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Begegnungen gesagt. Das hatte sie tief getroffen, sie wollte unbedingt verhindern, dass ihre erwachsene Tochter ihren Halbbruder fand und erfuhr, dass der wegen Totschlags im Gefängnis saß. Sie hatte Rose damals dazu befragt, aber sie hatte behauptet, keinen Peter Boutrup zu kennen, und sich sehr schnell abgewandt. Viel zu schnell.
Dorn. Keine Rose ohne Dornen. Das klang wie aus einem Chiffrierbuch für Dreijährige. Das war also der Weg, den sich ihre beiden Kinder ausgewählt hatten, um miteinander zu kommunizieren. Und jetzt würden sie sich auch noch treffen.
»Hier ist sie.«
Die Statusmeldung stand ganz am Ende der Liste und war schon längst von aktuelleren Meldungen zur Seite geschoben worden. Aber es gab sie noch: »Bereite schon mal die Herbstferien vor und gehe morgen um 15 Uhr mit Dicte ins Solarium in der Østergade. Will jemand mitkommen?« Etliche hatten den Eintrag kommentiert. Rose war eine davon: »Seid ihr noch ganz dicht? Man könnte glauben, ihr seid Teenager … Habt ihr noch nie von Hautkrebs gehört?«
»Ich habe das nur zum Spaß reingestellt«, entschuldigte sich Ida Marie. »Das war nur, weil ich mich so darauf gefreut habe.«
»Das verstehe ich ja. Es ist auch überhaupt nicht sicher, dass es etwas zu bedeuten hat.«
Dicte stand auf und verabschiedete sich, aber sie wusste, dass sowohl ihre Stimme als auch ihre Bewegungen das genaue Gegenteil von dem ausdrückten, was sie soeben gesagt hatte.
KAPITEL 15
»Wenn Sie Hilfe brauchen, bitte zögern Sie nicht, es mir zu sagen«, sagte der Vorsitzende des Kulturausschusses und klopfte ihr auf die Schulter.
»Wenn es irgendetwas gibt, was ich für Sie tun kann, dann wissen Sie, wo Sie mich finden können«, sagte der amtierende Bürgermeister.
»Wie geht es Ihnen? Sie sehen müde aus«, sagte der Vorsitzende des Sozialausschusses auf dem Weg zu seinem Platz und ohne auf eine Antwort zu warten.
Es nahm kein Ende. Unterstützungsbekundungen und Absichtserklärungen flogen durch die Luft wie die ersten Herbstblätter,die sie noch vor wenigen Minuten auf dem Weg zur Stadtverordnetenversammlung ziellos auf dem Rathausplatz hatte herumwirbeln sehen. Sie alle klangen freundlich und waren nett gemeint, aber sie wusste, wie wenig Substanz dahinter war. Es waren Höflichkeitsfloskeln, nicht mehr und nicht weniger. Sie mussten sich so verhalten, und sie wiederum musste das Spiel mitmachen und sich dafür bedanken. Was sie auch tat – aber es schnürte ihr den Hals zu. Wer war ihr Freund und wer ihr Feind? Früher hatten sie diese Kategorien nicht interessiert, aber jetzt bedeuteten sie auf einmal alles.
Francesca setzte sich auf ihren Platz im Ratssaal. Das war eine wichtige Sitzung, der Haushalt sollte verabschiedet werden. Auch auf der Zuschauertribüne saßen schon ein paar interessierte Bürger. Sie wollte es nicht, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Blick über die Stuhlreihen glitt. Saß er dort oben? Oder war Er eine Sie? Wer trachtete ihr nach dem Leben?
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und zuckte zusammen.
»Überlebst du das hier?«
Sie drehte sich um und setzte ein Lächeln für ihren Parteirivalen Erik Balleby auf. Ginge es nach ihm, wäre er der Bürgermeisterkandidat der Opposition, während sie auf eine der hintersten Reihen verwiesen werden würde. Das wusste sie genau. Als Anders Fink sich aus gesundheitlichen Gründen vom Posten des Oppositionsführers zurückzog, hatte er sich sehr für sie eingesetzt, was allerdings aus der Sicht vieler eine Fehlentscheidung gewesen war. Sie galt als eine umstrittene Politikerin, und viele Parteikollegen fühlten sich bei Ballebys eher kompromissbereiter Linie und seiner maskulinen, ein bisschen altväterlichen Ausstrahlung besser aufgehoben. Allerdings verbarg sich dahinter ihrer Meinung nach – und die hatte sie auch nie verhehlt – nur mangelndes Talent und politische Unsicherheit.
Sie folgte Balleby auf dem Weg zu seinem Platz mit Blicken.
Die Journalistin Svendsen hatte natürlich recht mit ihrerFrage gehabt. Die Geschichte mit dem Vergewaltigungsversuch hatte ihre Popularität enorm vergrößert, sowohl in der Bevölkerung als auch innerhalb der Partei, und Finks Einsatz für sie hatte sich als ein Jackpot erwiesen, als sie bei der Generalversammlung einen erdrutschartigen Sieg errang. Und das obwohl der Ortsverband Risskov Fink mit der Aufstellung des Gegenkandidaten Balleby eine Kampfansage gemacht hatte.
Sie wusste genau, dass sie versucht hatten, die
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