Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
ins Gesicht, sie errötete sofort. Sie war nicht viel älter als fünfundzwanzig, trug Leggings, Turnschuhe und ein langes Sweatshirt mit einem breiten Gürtel. Ihr Make-up war schwerer als kleidsam, aber das war meist das Problem der Jugend. Es dauerte Jahre, um seinen eigenen Stil zu finden.
»Ich will mich bedanken«, stammelte die junge Frau. Das klang einstudiert, und Francesca überlegte fieberhaft, wie sie der Situation entkommen konnte. Aber es gab keinen Ausweg, denn in diesem Augenblick bekam sie den Strauß in die Arme gedrückt, und sie konnte unmöglich die Frau vor den Kopf stoßen und ihn zurückgeben. Darum entschied sie sich in Sekundenschnelle für die mütterliche Variante.
»Ach, doch nicht dafür. Das habe ich gerne getan. Wie geht es Ihnen?«
Sie drückte die Hand der jungen Frau, die ohne Spannung und kraftlos wie ein alter Lappen war und auch so grau. Ein typisches Opfer. Kein Hauch von Selbstvertrauen.
»Danke, besser.«
Ihre Antwort war nicht mehr als ein Flüstern, und Francesca verfluchte die verantwortliche Zeitung.
Sie zog das Mädchen zur Seite, aber der Fotograf folgte ihnen.
»Machen Sie das Ding jetzt mal aus.«
Der Journalist mischte sich ein.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein, wir stehen doch hier in aller Öffentlichkeit.«
»Das kann schon sein. Aber sie ist noch nicht so weit, ihr Foto überall auf euren Aufstellern zu sehen. Das kann man nicht zulassen. Wie viel haben die Ihnen bezahlt?«
Die junge Frau senkte den Kopf und murmelte etwas Unhörbares.
»Wie viel, sagen Sie schon, meine Liebe?«
»Tausend Kronen.«
In diesem Augenblick war ihr alles egal. Sie hob eine Hand und hielt sie vor die Kameralinse, konnte aber hören, dass sie weiter Aufnahmen machte.
»Das hier könnt ihr vergessen, hier gibt es nichts mehr zu holen. Sie sind herzlich eingeladen, mit mir über Politik zu sprechen, aber für alles andere ist die Vorstellung hiermit beendet.«
»Meinetwegen, wie stehen Sie zu Schwarzarbeit, Frau Olsen?«, parierte der Journalist.
»Schwarzarbeit?«
Sie wusste, wie desorientiert sie klang. Sie spielten mit ihr, und sie war nicht darauf vorbereitet.
»Da bin ich natürlich dagegen.«
Ihr Gegenüber nickte und lächelte.
»Sind Sie da sicher? Wir verfügen über Informationen, dass Sie und Ihr damaliger Mann eine Zeitlang eine nicht gemeldete Reinigungskraft hatten.«
Das war sehr lange her, aber natürlich erinnerte sie sich noch daran.
»Mit wem haben Sie darüber gesprochen?«
Der Journalist blätterte in seinem Block.
»Mit einer Thailänderin, die angibt, dass sie damals für Sie gearbeitet hat.«
Die beste Verteidigung war in der Regel Offenheit und Aufrichtigkeit. Sie musste zusehen, dass diese Sache so schnell wie möglich aus der Welt geschafft wurde.
»Das stimmt. Wir waren jung, ich habe noch studiert und die politische Arbeit neben dem Studium gemacht. Das ist nicht einfach, alles unter einen Hut zu bekommen, vor allem, wenn man ein pflegebedürftiges Kind hat.«
»Das heißt, Sie haben also eine Schwarzarbeiterin beschäftigt? Obwohl Sie eigentlich dagegen sind?«
»Ja, sie hat bei uns ein halbes Jahr lang gearbeitet. Mai, unsere Putzfrau, mit der Sie gesprochen haben, wird Ihnen sicher bestätigen, dass sie uns damals eindringlich darum gebeten hat, das Geld schwarz auf die Hand zu bekommen. Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade nach Dänemark gekommen, hatte einen Dänen geheiratet, und ihm wären die Sozialhilfezahlungen gestrichen worden, wenn wir es angegeben hätten.«
»Das heißt, Sie haben aus reinem Mitgefühl gehandelt?«
Sie schüttelte den Kopf. Es war ihnen schon unglaublich schwergefallen, sich überhaupt einzugestehen, dass sie dringend Hilfe benötigten.
»Zu diesem Zeitpunkt schien es der richtige Weg für alle Beteiligten. Aber mit Abstand betrachtet war es natürlich ein Fehler. Ich kann nur sagen, dass es mir leid tut und ich natürlich bereit bin, ein Bußgeld zu bezahlen.«
Hatte das genügt? Die totale Unterwerfung? Sie beobachtete den Journalisten, der nicht zufrieden aussah – ein bisschen wie Nachbars Katze, die in der Hoffnung vorbeikommt, eine Schale mit Thunfischsalat vorzufinden, und entdecken muss, dass diese leer ist.
Er klappte seinen Notizblock zu.
»Ja, dann bedanke ich mich recht herzlich. Zu Ihrer Information, wir bringen morgen ein Interview mit Mai Johansen, undnatürlich werden Sie dann Gelegenheit bekommen, sich erneut zu diesem Fall zu äußern.«
Dieser Fall. Jetzt war es schon ein Fall.
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