Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
anderen Parteimitglieder zu überreden, ihre Stimme Balleby zu geben. Die Presse war zunächst noch auf ihrer Seite, aber die Nacht in Hasle entwickelte sich zu einer zweischneidigen Angelegenheit. Die Journalisten waren nach der ersten Euphorie und dem Pflegen ihres Heldenstatus dazu übergegangen, kritische Fragen zu stellen. So wie diese Dicte Svendsen, die sie mit ihren Spekulationen stark irritiert hatte.
Sie beobachtete Erik Balleby, der in ein Gespräch mit einem Parteikollegen vertieft war. War er es doch, der versuchte, ihr Fundament ins Schwanken zu bringen? War er so verbittert, dass er ihr um jeden Preis nach dem Leben trachtete?
Er würde unter normalen Umständen niemals den Bürgermeisterposten bekommen. Das wussten alle, auch er. Sie war die einzige Chance der Partei. Sie war der Terrier; sie war diejenige, die Dinge geradeheraus ansprach und auf den Punkt brachte. Die anderen waren viel zu große Angsthasen. Ins Gefängnis mit den Verbrechern, Drogenverkäufer und Alkoholiker weg von der Straße und bitte auch Wohltätigkeitsdealer, die im Namen der guten Sache die Bürger für dumm verkauften; Abriss der Ghettos und Vermischung der Bevölkerungsschichten; schnellerer Zugriff und Kindesentzug bei Reich und Arm – ohne Berührungsängste bei Familien mit Migrationshintergrund – schon beim geringsten Anzeichen von Vernachlässigung der Fürsorgepflicht. »Verantwortung und Konsequenz« lautete ihr Slogan, und sie meinte es wortwörtlich. Und um das umsetzen zu können, benötigte sie Macht. Sie hatte keine Angst davor, diese Macht einzusetzen, nur Angst, wenn die verkehrte Personan der Macht war. Sie löste den Blick von Balleby und sah sich im Saal um. Alle waren eingetroffen, und der Bürgermeister trat vor, um die Versammlung zu begrüßen. Die Abgeordneten saßen wie brave Schüler hinter ihren Tischen, während sich der Bürgermeister zehn Minuten über die historisch bedeutsame Einigung ausließ, zu der es gekommen war. Er bedankte sich sogar bei der Einheitsliste Rot-Grün für ihr Engagement, obwohl die sich aus den Verhandlungen zurückgezogen hatten. Er erzählte stolz von den Aktivitäten im Schulwesen und der Seniorenbetreuung, um verbesserte Wohnraumangebote für Menschen mit Behinderungen sowie von den Summen, die für die Belebung gefährdeter Stadtteile und sozialer Brennpunkte wie Rosenhøj und Søndervang bereitgestellt wurden. Das war alles gut und richtig – sie hatte an den Verhandlungen selbst teilgenommen –, aber so unglaublich langweilig.
Die Parteikollegen. Könnte einer von ihnen derjenige sein, der ihr nach dem Leben trachtete? Wenn nicht Balleby, wer dann? Jemand aus der Partei des Bürgermeisters? Vielleicht mehrere von ihnen? Aber wie konnten sie etwas erfahren haben? Wie konnte überhaupt jemand etwas erfahren haben?
Nach den einleitenden Worten des Bürgermeisters bekamen die Referenten das Wort erteilt. Sie sah einen nach dem anderen an, konnte sich aber nicht vorstellen, dass es einer von ihnen sein konnte. Sie waren zu geradlinig. Zu normal, was auch immer das bedeuten mochte.
Ihr Mobiltelefon meldete eine eingehende SMS. Verdammt. Sie hatte vergessen, es lautlos zu stellen. Diskret las sie die Nachricht und antwortete, ließ sich gerne ablenken, während auf dem Podium ein langweiliger Vortrag den nächsten ablöste. Diese Redner hatten alle keine Ausstrahlung, keine Ambitionen und Visionen. Wenn sie an der Reihe wäre, würde die Tatsache, ein Århusianer zu sein, eine vollkommen neue Bedeutung erhalten. Und damit wäre der Weg noch nicht beendet. Die Hauptstadt und Christiansborg würden in ein paar Jahren zum Greifen nah sein. Sie durfte doch wohl im Stillen voneinem Ministerposten träumen. Oder anders gesagt: Das hatte sie früher gekonnt, aber nicht im Moment. Nicht nach dem, was geschehen war.
Sie sah sich im Saal um. Wer war es? Und wie viel wussten sie wirklich, wenn es ernst werden sollte?
»Francesca Olsen.«
Die Presse hatte sich versammelt, um die Stadtheinis in Empfang zu nehmen. Aber eine Morgenzeitung hatte offensichtlich ein Anliegen, das nichts mit dem Haushalt zu tun hatte. Einer der Journalisten, ein junger Mann mit bereits schütterem Haar, schob eine junge Frau mit Blumenstrauß im Arm vor sich her, während ein Fotograf Salven mit seiner Kamera abfeuerte.
»Hier ist jemand, der sich gern bei Ihnen bedanken möchte«, sagte der Reporter. »Sie haben sich ja schon seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Francesca sah der jungen Frau
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