Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
verriet sofort, dass dies das Café der Unterprivilegierten war, ein soziales Projekt der Gemeinde mit dem Ansatz, psychisch Kranke zu resozialisieren. Hier bedienten Menschen, die in dem nicht immer so feinmaschigen Netz der Sozialbehörde hängengeblieben waren, ihre Leidensgenossen, die Kumpel aus der Nachbarschaft, des Treppenaufgangs, der Umgebung. Die an den Rand Geschobenen bedienten die Ausgestoßenen. Vielleicht fühlte er sich deshalb so wohl dort.
»Kaffee«, bettelte My, die Kaj in der Wohnung in der Anholtsgademit einer Portion Hundefutter zurückgelassen hatte. »Und Sandwich.«
Peter B bestellte bei Sofie, die manisch depressiv war und bis über beide Ohren mit Tabletten vollgepumpt. Die Frau mit der Kurzhaarfrisur war dreiundfünfzig und hatte ein Leben lang in einem inneren Konflikt mit sich gestanden, bis endlich die Diagnose Schizophrenie gestellt wurde. Da war sie vierzig. Diese Geschichte hatte sie ihm einmal vorgetragen, als er vor langer Zeit mit Cato im Café gesessen und ein Bier getrunken hatte. Drei Selbstmordversuche hatte sie hinter sich, mittlerweile nahm sie regelmäßig ihre Medikamente, die ihr Gesicht in eine starre Maske verwandelten. Sie sah aus wie jemand, der in einer Wirklichkeit lebte, die von den meisten als die einzig richtige angesehen wurde.
»Und?«, fragte Sofie. »Wo habt ihr ihn gelassen?«
Er bezahlte und beobachtete sie, wie sie die Becher mit Kaffee füllte. Hier gab es keine Espressomaschine. Man bekam einen Filterkaffee und ein Sandwich aus Toastbrot mit je einer Scheibe Gummikäse und Formschinken. Aber das Lokal war ordentlich und sauber, und in der Regel benahmen sich die Gäste auch anständig.
»Das wollte ich dich gerade fragen.«
Er sah sich im Café um, in dem vier Menschen mittleren Alters, zwei Männer und zwei Frauen, an einem Tisch am Fenster saßen und Karten spielten. Die anderen Gäste saßen paarweise an Tischen und tranken Kaffee oder helles Bier. Zwei saßen allein. Der eine Gast war eine Frau in einer grauen Jacke, den Wollschal um den Hals gewickelt. Ihr Blick schweifte in die Ferne, mit den Händen hielt sie einen Becher Tee umklammert. Der andere einsame Gast, ein junger Mann mit dicken Brillengläsern und Dreitagebart, saß konzentriert über einen Skizzenblock gebeugt und zeichnete und machte sich Notizen.
Sofie schob die Zuckerdose über den Tresen.
»Ich hab ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen.«
»War Lulu nicht bei dir und hat nach ihm gefragt?«
»Dooch, aber das ist auch schon eine Woche her. Sie rechnet wohl auch damit, dass er einfach wieder auftaucht.«
Sie griff nach einem Glas, füllte es mit Wasser und trank es leer. »Das tut er in der Regel ja auch.«
»Wo kann er denn sonst noch sein? Wen kennt er noch?«
Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, der einem Innenarchitekten Magenkrämpfe verursacht hätte. Kommunales Design war noch das Netteste, was man darüber sagen konnte. Und braun. Braune Gardinen, hellbraune, laminierte Tische, beigefarbene Wände und braune Lampen, die über jedem der acht Tische hingen.
»Die da drüben«, sagte sie und zeigte zu den Kartenspielern. »Er hat ab und zu bei denen mitgemacht, wenn ihnen der vierte Spieler für Whist fehlte.«
Sie lehnte sich über den Tresen.
»Hey, Kleeblatt. Hat einer von euch den Langen gesehen, ihr wisst, der, der ab und zu bei euch mitspielt?«
»Cato?«
Eine sehr dicke Frau machte einen Stich, nahm die Karten an sich und riss sich vom Spiel los. »Meinst du den Cato?«
»Cato, ja, genau der«, sagte My mit überdeutlicher Betonung, aber vollem Mund.
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Ich dachte, der ist auf Entzug.«
»Er ist verschwunden«, erläuterte Sofie. »Ihn hat schon seit Wochen keiner mehr gesehen.«
»Vielleicht ist er vor die Hunde gegangen«, sagte einer der Kartenspieler und fuhr fort: »Pass.«
»Wo geht man hin, wenn man vor die Hunde geht?«
Diese Frage müsste er sich eigentlich auch selbst beantworten können, dachte Peter Boutrup. Allerdings hatte er diesen Schritt nie gemacht, über den Abgrund hinaus. Warum, wusste er auch nicht, denn Inspiration dafür hatte er ausreichend in seinem Umfeld gehabt.
»Probiert es mal im Obdachlosenasyl am Ende der Jægergårdsgade.«
Der Mann mit dem Skizzenblock hatte sich zu Wort gemeldet. Er betrachtete Peter durch die dicken Brillengläser. »Zumindest sind dort viele, die vor die Hunde gegangen sind.«
Dort hatte er Cato nur
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