Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
ein einziges Mal abgeholt, als dieser einen Megarausch in Kombination mit Methadon gehabt hatte, das er damals regelmäßig von der Apotheke am Store Torv bezog. Es war zwar eine schlechte Idee, My mitzunehmen, aber sie konnte man nicht einfach irgendwo parken, stattdessen gingen sie nach Hause, um vorher Kaj zu holen.
»Ein Hund, um damit vor die Hunde zu gehen«, sagte My belustigt und befestigte die Leine an Kajs Halsband.
Voller Fürsorge untersuchte sie den Hund, wie eine Mutter, die zu lange von ihrem Kind getrennt war.
»Kaputt, tststs.«
Sie nahm den kleinen Metallstern vom Halsband, auf dem der Name des Hundes und eine Telefonnummer standen. Und richtig! Der kleine Stahldraht, der den Stern befestigte, war aufgebogen und kurz davor, abzufallen. Mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn ließ My den Stern in ihrer Jackentasche verschwinden.
»Das kriegen wir wieder in Ordnung«, versprach er, wie er ihr immer versprochen hatte, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Aber würde es ihm auch bei dieser Sache gelingen? Da war er sich nicht so sicher.
Sie liefen die ganze Strecke zu Fuß. My hüpfte neben ihm auf und ab, Kaj tänzelte mit federndem Gang vor ihnen her, die Nase dicht über dem Bürgersteig und darauf bedacht, keinen Laternenpfahl auszulassen. Er selbst, der Dritte in diesem sonderbaren Bund, trug jetzt eine Glatze und einen Bart, der mithilfe von Miriams Haarfärbemittel tiefschwarz war. Er war der Ansicht, dass dieses Trio die beste Tarnung war, die er sich wünschen konnte.
Das Obdachlosenasyl lag am Hafen, hier durften die Besucherihre mitgebrachten Getränke verzehren, was sowohl für die Angestellten als auch die anderen Gäste oft eine Herausforderung bedeutete. Die Besucher waren Frühpensionierte und andere, die hier ihre Karrieren als staatlich anerkannte Pflegekinder begonnen hatten. Ins Asyl führten mehr Stufen hinunter als in das Café, von dem sie kamen. Und dort sah man jene Menschen, aus Fleisch und Blut, die gemeint waren, wenn die Zeitungen vom »Bodensatz der Gesellschaft« und von den »sozialen Außenseitern« sprach. Es waren die selten Interviewten. Die Heimatlosen. Die Vogelfreien. Die Mittellosen. Im Asyl gab es keine Körpervisite oder Registrierung. Man konnte einfach kommen, ohne dass jemand Fragen stellte. Sofern geöffnet war.
An diesem Tag saßen sie draußen.
»Die haben geschlossen. Die haben alles gekürzt!«, sagte ein sehr bärtiger Mann, der mit seinen Kumpeln auf der Bank saß, ein Bier in der Hand, einen schwarzen Hund zu seinen Füßen. Kaj beschnupperte freundlich den Artgenossen, der zur Begrüßung mit dem Schwanz wedelte.
»Pass bloß auf, sie ist läufig, das liederliche Biest«, sagte ein Zweiter auf der Bank und lachte so laut auf, dass es in seiner Brust rasselte. »Wenn euer Polizeihund sie besteigt, verlangen wir Alimente, da kannste einen drauf lassen!«
»Dermaßen!«, fügte eine dritte Stimme hinzu. Sie gehörte einer Frau, die mehrere Schichten Kleidung trug und sie aus roten Augen ansah. Sie hustete und nieste.
»Verdammte Erkältung.«
»Du hast bestimmt ’ne Lungenentzündung«, sagte der Mann mit dem langen Bart. »Weil die alles kürzen. Jetzt müssen wir hier draußen in der Kälte hocken.«
»Kennt ihr einen Typen, der Cato heißt?«
Den kannten sie. Das war ein Netter. Der gab immer was von seinem Biervorrat ab. Super Typ. Aber sie hatten ihn in letzter Zeit nicht mehr gesehen.
Und selbst wenn sie ihn gesehen hätten, wäre wahrscheinlich jede Erinnerung von ihren alkoholvernebelten Gehirnen gelöschtworden, dachte er. My brachte es auf den Punkt: »Die haben Löcher im Kopf, da, wo der Erinnerer sitzt.«
Sie trotteten wieder nach Hause, wenn man ein Minibordell als ein Zuhause bezeichnen konnte. Kaj wirkte aufgeputscht nach seiner Begegnung mit der Hündin und schnupperte an allem und jedem. My sah nachdenklich aus.
»Vielleicht hat er es verkauft!«, sagte sie schließlich.
»Was verkauft? Und wer?«
»Cato. Er hat gesagt, er hat was, für das er Geld bekommen kann.«
Er blieb mitten auf der Nørregade stehen.
»Wovon redest du da? Was sollte er denn bitte verkaufen können? Er besitzt doch nichts, hat noch nicht einmal genug, um sich ein Busticket zu kaufen?«
My hatte einen geheimnisvollen Blick aufgesetzt. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie spitzte die Lippen.
»Er hat gesagt, dass es viel Geld wert ist.«
KAPITEL 36
»Zwei Flakgeschütze, zwei Maschinengewehre, verschiedene Automatikwaffen sowie
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