Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Namen auf der Liste und fütterte die Navi-Madame mit neuem Material. Rimsø lag vier Kilometer von Gjerrild entfernt. Das Land wurde hier für den Ackerbau genutzt, die Erde sah fruchtbar und fett aus. An einigen Stellen waren die Äcker schon gepflügt worden, an anderen standen noch die Stoppeln vom Vorjahr.
Der kleine Holzhandel lag am Rand der Ortschaft. Er hatte eine eigene kleine Windmühle und war in einem ehemaligen, freiliegenden Gutshof untergebracht. Die etwas ramponierte Kletterrosenidylle bestand aus einem Fachwerkhäuschen, inklusive abgeblätterten Sprossenfenstern und einem Mauerwerk, das nach neuem Kalk schrie. In der Auffahrt auf einem kleinen Parkplatz standen ein PKW und ein Lieferwagen, beides ältere Modelle. Der PKW hatte zwei Kindersitze. Der nächste Nachbar schien mehrere Kilometer entfernt zu sein. Sie fuhr einen großen Bogen, um zu wenden, und passierte einen großen Haufen Rindenmulch, hinter dem sich ein Stapel unbehandelter Bauhölzer erhob, aller Wahrscheinlichkeit nach Kiefer.
Dicte hielt auf der Auffahrt und ging zum Haupthaus, um zuklingeln. Sie hatte sich umgesehen, aber außer einer graugestreiften Katze kein Lebewesen entdecken können. Ein Hund bellte, als sie ihren Finger auf die Klingel drückte, und kurz darauf erschien eine Frau in der Tür. Sie war jung, höchstens Ende zwanzig und praktisch farblos. Fahle Haut, bleiches Haar und bleiche Lippen in einem schmalen Gesicht. Sogar die Augen hatten ein sehr helles Blau, wie eine zu stark verdünnte Wassermalfarbe. Hinter ihr im Flur türmten sich Schuhe und Spielsachen.
»Ist der Zimmermeister zu Hause?«
Die Frau beugte sich nach unten und nahm ein kleines Mädchen auf den Arm, das höchstens ein Jahr alt war. Dem Kind lief der Rotz aus der Nase, und ihre Mutter fischte automatisch ein Taschentuch aus der Hose und wischte ihn ab. Ganz zärtlich und vorsichtig waren ihre Bewegungen.
»Nein, er ist unterwegs.«
»Vielleicht können Sie mir ja helfen.«
Dicte holte das Foto aus der Tasche. Die Frau betrachtete es lange.
»Peter«, sagte sie. »Nach ihm wird doch gefahndet. Wer sind Sie?«
»Familie.«
Journalistin wäre jetzt fehl am Platz gewesen, sagte ihre Intuition. Hier draußen auf dem Land machten alle zu, wenn sie das hörten. Das Gesicht der Frau veränderte sich, es sah aus wie Glas, fast durchsichtig. Sie rückte das Kind auf ihrer Hüfte zurecht und sagte:
»Ich dachte, er hat keine Familie.«
»Doch, das hat er. Und ich suche ihn, um ihm zu helfen.«
Mit diesen Worten überzeugte sie sich auch selbst.
»Ich glaube, dass er unschuldig ist. Ich glaube nicht, dass er diese Frau umgebracht hat. Hat er hier bei Ihnen gearbeitet?«
Die andere nickte. In diesem Augenblick schoss der Hund aus dem Haus und jagte hinter dem Kater her, der mit aufgestelltem Schwanz über den Hofplatz floh. Das kleine Mädchenbegann zu quengeln. Die Frau wiegte es in ihrem Arm hin und her.
»Sie hat Hunger. Ich muss jetzt mit ihr rein.«
»Wissen Sie, wo er gewohnt hat?«
»Nicht genau. Aber er kam immer mit dem Fahrrad, also kann es nicht ganz so weit weg sein. Manfred weiß es. Er hat Peter damals geholfen, irgendetwas an seinem Haus zu reparieren.«
»Wo finde ich diesen Manfred denn?«
Das Kind weinte mittlerweile lauthals.
»Er ist beim Dorfpolizisten. Ja, so nennen wir ihn … Da sollte ein neues Dach aufs Haus. In Gjerrild.«
Sie sprach den Ort
Gerrild
aus. Sie habe zwar die Adresse nicht, aber das Haus stünde in der Nähe der Kirche. Im Pfarrhof wüssten sie Bescheid. Ehe Dicte noch weitere Fragen stellen konnte, zog sie sich ins Haus zurück. Der Hund, ein pudelartiger Mischling mit zotteligem Fell, konnte noch so eben gerade durch den Spalt hineinschlüpfen, bevor die Tür ins Schloss fiel.
Dicte fuhr die Strecke zurück durch das kleine Wäldchen nach Gjerrild. Die Kirche war einfach zu finden. Weiß gekalkt und stolz stand sie auf der höchsten Erhebung der Stadt. Das Haus daneben war wahrscheinlich der Pfarrhof, vermutete sie. Ein großer, vierseitiger Hof mit schwarzem Fachwerk, der frisch gestrichen aussah. Sie klingelte, und ein gutaussehender Mann, nicht älter als fünfunddreißig, öffnete die Tür.
»Sind Sie der Pfarrer?«
»Meine Frau ist Pfarrerin. Kann ich Ihnen dennoch behilflich sein?«
»Ich bin auf der Suche nach dem Dorfpolizisten.«
Er sah aus wie aus einem Modemagazin für Männer entsprungen, für den eher rustikalen Geschmack. Er trug Cordhosen, Öljacke und kniehohe Gummistiefel. Es
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