Rachmann, Tom
mehr gereinigt, behaupteten sie). Oliver stürzte
ans Telefon und rief Vaughn an.
»Kommt nicht infrage«, sagte
Vaughn. »Weißt du, wie viel Verlust die Zeitung macht?«
»Nicht genau.«
»Nun ja, die können von Glück
sagen, dass wir ihre Gehälter noch zahlen.«
Von da an mied Oliver die
Zeitung, kam nur nach Feierabend mal kurz rein, um irgendwas zu unterschreiben
und seine Post abzuholen. Im Übrigen versteckte er sich in der Villa, seine
einzigen Ausflüge waren das tägliche Gassigehen mit Schopenhauer, seinem Basset
Hound.
A mokschütze tötet 32 S tudenten
Oliver
Ott, Verleger
Das Telefon im Salon klingelt. er weiss, wer das ist,
also zieht er seinen Mantel an, ruft Schopenhauer und geht mit ihm Gassi.
Oliver ist
schlaksig, noch keine dreißig, aber schon gebeugt, und sein Kopf ist immer
nach vorne geneigt, als säße er nicht auf einer Wirbelsäule, sondern hinge an
einem Garderobenhaken. Ein blonder Schmalzpony verhängt seine pickelige Stirn
und seine blauen Augen, seine Kartoffelnase hüpft beim Gehen zwischen Strähnen
hin und her. Seine Lippen sind zerklüftet und zerknabbert, und wenn er dem Hund
etwas zumurmelt, schlenkert sein Kinn mit. Mit dem Blick auf das Ende der
Hundeleine fixiert, wird er zum Augenzeugen der Welt aus Schopenhauers Sicht -
das Leben in Schnüffelhöhe.
Ein Geruch
erregt die Aufmerksamkeit des Bassets, er springt auf eine uringetränkte
Grasfläche los. Zerrt mal hier, mal da lang, reißt Oliver in immer intrikatere
Häkelmuster. »Ich habe immer mehr das Gefühl,« sagt Oliver, »diese Leine ist
die reine Ironie.«
Sie gehen
durch die ganze Stadt spazieren. Mal in den Botanischen Garten am Hang des
Janiculum. Mal ins Valle dei Cani im Park der Villa Borghese. Mal zum verdorrten
Rasen des Circus Maximus, wo die Touristen an Wasserflaschen nuckelnd über die
antike Wagenrennstrecke trotteln. An den heißesten Tagen gehen Oliver und Schopenhauer
über den Tiber und in die schattigen Gassen von Trastevere. Oder schlendern
die Via Giulia hoch, deren mannhaft hohe Gebäude der Sonne trotzen. Oder
bummeln über den protestantischen Friedhof in Testaccio, auf dem Olivers
Großvater liegt.
Der
Grabstein ist schlicht und einfach: »Cyrus Ott - geboren 1899 -
gestorben i960«. Oliver geht lieber zu Gräbern, die seine Fantasie anregen, und liest
flüsternd die eingravierten Namen: »Gertrude Parsons Marcella ... Lieutenant
Colonel Harris Arthur McCormack ... Wolfgang Rapaport, gestorben mit vier
Jahren«. Er redet mit seinem Hund: »Michael James Lamont Hosgood starb mit
fünfzehn. Da liegt er, neben seiner Mutter. Aber die ist zwanzig Jahre später
gestorben, in Kent. Die hat bestimmt extra darum gebeten, hier beerdigt zu
werden, neben ihrem Sohn. Was, Schop?« Devereux Plantagenet Cockburns
Grabstätte ist mit einer Statue in Lebensgröße verziert, der Verstorbene, ein junger
Geck, sitzt mit einem Cockerspaniel im Schoß und dem Daumen in ein Buch geklemmt
da wie hingegossen, als wäre jeder Grabbesucher eine willkommene Unterbrechung
seiner Lektüre. Die ziemlich lange Inschrift endet mit den Worten: »Er wurde
von allen geliebt, die ihn kannten - der Schatz seiner Eltern und seiner
Familie, die in manch fernen Gefilden nach Heilung für ihn suchten. Er verließ
dieses Leben in Rom, am dritten Mai 1850, mit 21 Jahren.«
Die Sonne
tritt von ihrem Posten am Himmel ab, die Mücken übernehmen, und Oliver und
Schopenhauer machen sich auf den Rückweg zum Aventin. Nach Hause in die Villa
aus dem 16. Jahrhundert, die Cyrus Ott Anfang der 1950er Jahre
günstig gekauft hatte. Oliver gibt den Zahlencode ein, das automatische
Eisentor geht quietschend auf. Im Haus klingelt das Telefon.
Oliver
nimmt Schopenhauer die Leine ab, wickelt sie auf und geht in den Salon. Hier
sind die Decken noch höher als in der Eingangshalle, eingefasst mit
Rokokoreliefs, bemalt mit Sternenkränzen und fröhlich um die Ecken
karriolenden, pfirsichgelben Cherubim. Die Ölgemälde an den Wänden darunter
sind zu schlecht beleuchtet, als dass man gleich erkennt, was sie darstellen -
von fern sehen sie alle aus wie Wälder bei Nacht, nur die vergoldeten Rahmen
funkeln hell. In den Orientteppichen hat der Fußgängerverkehr tiefe
Trampelpfade hinterlassen: zur Küche, zu den Fenstern, zu den Bücherregalen, zu
dem Sofa für Tete-á-tetes, zum Wandtelefon, dessen antiquierte Klingel gerade
wieder gegen die Tapete rattert. Der Anrufbeantworter springt an.
»Hi, ich
bin's noch mal«, sagt
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