Rachmann, Tom
sie.
»Heh«, sagt er.
Sie lachen.
Er sagt,
etwas sanfter: »Komm mal her«, und beugt sich über den Tisch. Er küsst sie.
Dann lehnt er sich langsam wieder zurück, als hätte er das von sich selbst
nicht erwartet.
»Tja«, sagt sie. »Tja dann«, sagt er. »Nicht schlecht.«
Sie fahren
hoch in ihr Zimmer. Sie rast ins Bad und sagt stumm zu ihrem Spiegelbild: »Du
bist verrückt.«
Als sie
wieder herauskommt, zieht er sie an sich. Sie lässt sich in seine Arme sinken
und wartet auf einen Kuss, aber er hält sie nur umarmt, drückt sie an sich,
lässt sie mit einem heiteren Seufzer wieder los. Er lehnt sich zurück und sieht
ihr in die Augen.
»Mmmh«, sagt sie, »das hab ich gebraucht.«
»Ich hab's
gebraucht«, sagt er.
Sie küsst
ihn, zärtlich, dann leidenschaftlich. Sie taumeln zum Bett, die Lippen
ineinander geschmiedet, stolpernd, kichernd. Sie plumpst auf die Matratze und
landet auf der Fernbedienung. Der Fernseher springt an. »Oh Gott, tut mir
leid!«, ruft sie plötzlich ernst.
Er stellt
den Fernseher ab und wirft die Fernbedienung in die Ecke. Er knöpft ihre Bluse
auf und reißt sie ihr vom Leib. Er zieht den Reißverschluss auf, schiebt ihre Hose
nach unten und weg. Sie hat jetzt nur noch den beerdigungsschwarzen BH und den
blauen Oma-Schlüpfer an. Sie legt schützend die Arme über die Brust und schlägt
die Beine übereinander. »Können wir das Licht ausmachen?«
»Lass es noch eine Sekunde an«, sagt er. »Ziehst du dich
nicht aus?«
»Heh, nicht zudecken.«
»Ist aber so hell hier.«
»Ich will dich ansehen.«
»Aber du
bist immer noch angezogen. Und ich liege hier mit diesem BH und diesem ...« Sie
lacht verunsichert. »Warte, warte, nicht. Nicht die Decke hochziehen.«
»Wieso
denn? Darf ich nicht?«
»Da ist
erst noch ein Punkt abzuhaken.« Sein Ton ändert sich. Seine Stimme wird kalt.
»Ein ganz kleiner.« Sein Blick fährt ihren Körper entlang. »Erzähl mir mal
eins, Miss Buchhaltung.«
Sie erstarrt zu Eis bei dem Namen.
»Warum«,
fährt er fort, »warum hast du, Miss Buchhaltung, von den ganzen Leuten da
ausgerechnet mich feuern lassen?« Er steht am Fußende und starrt auf sie
herunter. »Na?«, sagt er. »Erklär mir das.«
2004. Zentrale des
Ott-Konzerns, Atlanta
Mit den Printmedien ging es
spiralförmig abwärts.
Die multimediale Konkurrenz
vermehrte sich rasant, von Handys bis Videospiele, von Social Networks bis
Internet-Porno. Die neuen Techniken zogen nicht nur Leser ab, sie veränderten
sie auch. Da volle Druckseiten auf keinen Bildschirm passten, schrumpften die
Artikel, - wurden Nachrichten in immer kleinere Häppchen zerhackt. Die
ständigen Aktualisierungen im Internet steigerten die Geringschätzung für
Druckerfarbenschlagzeilen vom Vortag. Auch die Sitte, Informationen nur im Tausch
gegen Geld zu bekommen, schwand dahin - im Netz war Bezahlen nur noch eine
Variante.
Mit dem Einbruch bei den
Lesern flohen die Anzeigenkunden und türmten sich die Verluste. Die
Bezahl-Zeitungen machten trotzdem verbissen weiter. Beurteilten und wählten
weiter tagtäglich aus, produzierten ihre Zusammenfassung der Welt, bauten ihre
Seiten daraus, druckten nachts und lieferten frühmorgens aus, was dann
durchgeblättert werden konnte, mit verschlafenen Frühstücksaugen. Mit jedem Tag
weniger Augen.
Und dennoch war Boyd nicht
bereit, seines Vaters Zeitung untergehen zu lassen. Er hatte sie schon einmal
gerettet, indem er Milton Berber angeheuert hatte. Der Trick war, den
richtigen Leader zu finden. Diesmal fiel seine Wahl auf Kathleen Solson,
Miltons frühere Protegee. Kathleen war in Rom die Karriereleiter
hochgeklettert, hatte dann den Sprung zu Miltons altem Blatt in Washington
geschafft und stieg schnell weiter auf. Sie hatte als Polizeireporterin für ein
Stadtrandrevier angefangen, war dann ins Pentagon-Team aufgerückt,
Politik-Reporterin für den Südwesten und schließlich Innenpolitikchefin
geworden, alles in weniger als zehn Jahren.
Auf dem Niveau allerdings
wurde die Konkurrenz innerhalb der Washingtoner Hierarchie beinhart. Um bis in
die Kopfzeile vorzudringen, würde sie jahrelang auf der politischen Klaviatur
spielen müssen. Oder zocken, an die Spitze irgendeines kleineren Blatts
springen und das als Teststrecke nutzen. Sie flog nach Rom, traf sich mit der
aktuellen Ressortleitertruppe, ein mittlerweile ziemlich kleiner Haufen,
zahlenmäßig ausgedünnt durch Jahre der Zermürbung.
Wenn sie den Job nehmen solle,
teilte sie Boyd mit, müsse
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