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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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richtige
Patentanmeldung zusammenzustellen. Er dachte oft daran, Annika anzurufen, die
weiterhin in Rom lebte. Er hatte ihr noch etwas zu sagen, noch etwas zu erklären.
    Abbey Pinnola bekam eine
Position in der Konzernzentrale in Atlanta angeboten, lehnte jedoch ab. Sie
wollte ihre Kinder nicht entwurzeln oder einen ganzen Ozean zwischen sich und
ihren Ex-Ehemann schieben, sowenig sie den Mann auch mochte. Ihr nächster Job,
beschloss sie, sollte in einer Branche sein, wo sie nicht mehr auffallen würde.
Also warf sie sich auf die internationale Finanzbranche und fand eine Stelle in
der Mailänder Filiale von Lehman Brothers.
    Oliver Ott schließlich nahm
einen Job in der Zentrale an, wo von ihm erwartet wurde, dass er keinerlei
Arbeit verrichtete, und er kam dieser Erwartung nach. Er stellte aus seinem
Bürofenster über das diesige Atlanta und wünschte sich, der Tag möge bereits
vorbei sein. Seine Geschwister redeten ihm zu, sich wenigstens einen neuen Hund
anzuschaffen.
    Er ging zu allen
Vorstandssitzungen, stimmte jeweils ab, wie von allen gewünscht, und willigte
sogar in den Verkauf der römischen Villa mitsamt allen Gemälden ein. Bei der
Auktion ging der Modigliani an einen Kunsthändler in New York, der Leger an
einen privaten Sammler in Toronto, der Chagall an eine Stiftung in Tel Aviv,
der Pissarro an eine Galerie in London und der Turner an eine Reederei in
Hongkong, wo er dann im Empfang aufgehängt wurde.
    Während seine Geschwister
debattierten, versenkte sich Oliver in das Porträt des Großvaters im
Sitzungssaal. Niemand der Anwesenden hatte noch den Patriarchen gekannt. Sie
alle kannten nur die Legenden über Ott senior: dass er im Ersten Weltkrieg
gekämpft hatte und angeschossen worden war, was ihn von der Front geholt und
ihm vermutlich das Leben gerettet hatte. Dass er aus einer bankrotten
Zuckerfabrik ein Imperium geschaffen hatte. Viel mehr war nicht bekannt. Warum
war er zum Beispiel nach Europa gegangen und niemals zurückgekommen? Es hatte
doch da in der Zeitung eine Frau gegeben, Betty, und manch einer behauptete,
mit der habe er eine Affäre gehabt. Stimmte das? Sie war 1979 gestorben, und
Leo, der andere Mitbegründer der Zeitung, war 1990 verstorben. Gab es noch
jemanden, der mehr erzählen konnte?
    Die Zeitung verschwand über
Nacht aus den Kiosken und mit ihr der Kopf der Seite eins, die
charakteristischen Lettern, die Sport- und die politischen Seiten, der
Wirtschafts- und der Kulturteil, R ätsel- B rezel und Nachrufe.
    Ihre treueste Leserin Ornella
de Monterecchi war extra noch einmal in die Redaktion marschiert und wollte
darauf dringen, die Schließung noch einmal zu überdenken. Aber sie kam zu spät.
Der Portier war immerhin so freundlich, ihr die Tür zum ausgeräumten Newsroom
aufzuschließen. Er schaltete ihr die flackernden fluoreszierenden Strahler an,
dann durfte sie allein herumwandern.
    Es war ein Geisterort:
verlassene Schreibtische und Kabel, die nirgends hinführten, kaputte Drucker,
verkrüppelte Bürorollstühle. Mit stockenden Schritten ging Ornella über den
verdreckten Teppichboden und stand eine Weile am Redaktionstisch, auf dem noch
immer verschmierte Korrekturfahnen und alte Zeitungsausgaben lagen. In diesem
Raum war einmal die ganze Welt gewesen. Jetzt war hier nur noch Müll.
    Die Zeitung - die täglichen
Nachrichten von der Idiotie und der Brillanz der Spezies Mensch - hatte nie
zuvor eine Verabredung nicht eingehalten. Jetzt war sie weg.

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