Rachmann, Tom
betranken sich ungeniert, missachteten Redaktionsschlüsse, fingen sogar
Raufereien im Newsroom an. Dann kam der allerletzte Tag und ging zu Ende, und
von einer Minute auf die andere waren sie alle frei.
Einige wenige hatten neue Jobs
in Aussicht, die meisten nicht. Ein paar planten eine Auszeit. Andere
überlegten ernsthaft, aus dem Journalismus ganz auszusteigen. Vielleicht hat
ja alles auch sein Gutes, sagten sie, aber keiner wusste so recht, was er damit
meinte.
Lloyd Burko in Paris bekam von
all diesen Veränderungen glücklicherweise nichts mit. Er las die Zeitung seit
Monaten nicht mehr und auch sonst keine Presse. Er wohnte bei seinem Sohn
Jerome, sie lebten auf Sparflamme und kamen gerade so zurecht. Beide waren
überzeugt, für den jeweils anderen zu sorgen. Lloyd kochte mit Wonne für Jerome
und dessen dürre Freunde, wenngleich auch schlecht. Sie waren ein sympathischer
Haufen Bohemiens und forderten den alten Mann stets auf, sich an ihren
Aktivitäten zu beteiligen. Lloyd lächelte dann dankbar über ihre Einladung und
zog sich freundlich in sein Zimmer zurück.
Zur Überraschung aller fand
ausgerechnet Arthur Gopal den prestigeträchtigsten neuen Job, er ging nach New
York und wurde Reporter einer großen Tageszeitung. Für ihn war das eine
ziemliche Umstellung: Es bedeutete, Opfern von Schießereien für Interviews die
Bude einzurennen, sich von Bullen anblaffen zu lassen, fantasievoll Artikel von
freien Journalisten umzuschreiben, die Zeilen schindeten, in der Manier von:
»Job, wir wissen, die Schießerei war in ' ner Suppenfabrik, aber
jetzt komm 'wa erst mal zur Suppe.« Noch vor einem Jahr hatte Arthur eine Frau
und eine Tochter gehabt. Daran jetzt zu denken war merkwürdig, und so ließ er
es.
Hardy Benjamin fand einen Job
in London bei einer Agentur, die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisiert war,
sie war dort für Technologie zuständig. Ihr irischer Lover Rory ging keiner
Arbeit nach, also bezahlte sie die Miete für die gemeinsame Wohnung auf dem
Tower Hill. Sie ging hoch, wenn irgendjemand behauptete, er nutze sie aus - es
war der einzige Bereich, in dem Hardy die Dinge partout nicht geschäftsmäßig
sehen wollte.
Kathleen? Solson konnte zwar
wieder zurück zu ihrer alten Zeitung in Washington, aber sie wurde in der
Position herabgestuft. Letzten Endes hatte das Zwischenspiel in Rom ihrer
Karriere nicht genützt. Sie und Nigel zogen wieder zurück in ihre alte Wohnung
nahe dem Dupont Circle. Sie hatte noch ein paar Tage frei, bevor ihr neuer Job
begann, also frischte sie ihren Nachrichtenstand per Internet auf, packte ihre
Bücher aus den Kisten, hängte die riesigen Schwarz- Weiß-Fotos auf. Vor allem
aber wünschte sie sich, die Freiheit möge vorbei sein.
Herman Cohen ging in
Ruhestand, um die Geschichte der Zeitung aufzuschreiben. Miriam und er kauften
ein Haus am Stadtrand von Philadelphia, und er meinte zu ihr: Das ist mein
letzter Umzug. Mit dem Buch allerdings fing er nie an - es war so angenehm,
einfach mit den Enkelkindern zusammen zu sein. Wenn die Kleinen zu Besuch
kamen, war er selig, sie durften auch die englische Sprache malträtieren, ohne
dass er je die Grammatik korrigierte.
Winston Cheung wohnte zunächst
eine Zeit lang bei seinen Eltern im Keller und fand dann eine Stelle als
Tierpfleger in einem Heim für exotische Tiere in Minnesota. Er war vollauf
begeistert, nur die Affenkäfige mit Zeitungen auslegen mochte er nicht so gern
— er geriet allein beim Anblick von Schlagzeilen in Panik. Aber das Problem
hatte er nicht lange: Das Lokalblatt ging ein, und Winston ging zu Sägemehl
über. Bald hatten auch die Affen die Annehmlichkeiten von Zeitungen vergessen.
Ruby Zaga hätte endlich wieder
nach Hause gekonnt, nach Queens. Aber das war das Letzte, was sie wollte. Rom
bot ihr Trost. Sie hatte etwas gespart, sie konnte theoretisch jahrelang ohne
Arbeit auskommen. Der Gedanke ließ sie erst erstarren, dann erregte er sie.
Ihre Familie - die geliebten Nichten und Neffen, ihr Bruder -, alle konnten sie
jetzt besuchen kommen, auch länger. Sie würde ihnen die Schönheiten Roms
zeigen. Sie hatte die Hälfte ihres Lebens in Rom verbracht. Die Hälfte ihres
Lebens in der Redaktion. Sie atmete aus: Sie war frei.
Craig Menzies stieg aus dem
Journalismus aus und ging zu einem Lobbyisten in Brüssel. Jetzt konnte er sich
ein ganzes Haus leisten und sich in der Garage eine Forscherwerkstatt
einrichten. Er spielte sogar mit dem Gedanken, Unterlagen für eine
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