Rachmann, Tom
Hilditch
& Key in die Rue de Rivoli. Mit dem Taxi. Komm, los.« Eine tollkühne Idee -
er hat gar kein Geld für ein neues Hemd. Aber Jerome winkt ab.
Lloyd langt über den Tisch und
schnappt nach Jeromes Daumen. »Ist ja eine Ewigkeit her - dabei leben wir in
derselben Stadt, verdammt noch mal.«
Jerome entwindet ihm den
Daumen und studiert die Speisekarte. Er entscheidet sich für den Salat mit
Ziegenkäse und Walnüssen.
»Nimm doch was Richtiges«,
protestiert Lloyd. »Nimm ein Steak!« Er grinst, aber sein Blick eilt durch die
Speisekarte zu den Steakpreisen. Er kneift die Zehen zusammen.
»Salat ist in Ordnung«, sagt
Jerome.
Auch Lloyd bestellt Salat, das
ist das Billigste auf der Karte. Er schlägt eine Flasche Wein vor und ist
erleichtert, dass sein Sohn wieder abwinkt. Er verschlingt seinen Salat
regelrecht und isst den ganzen Brotkorb leer. Zu viele Kichererbsen, zu wenig
Fleisch. Jerome pickt nur in seinem Ziegenkäse herum und lässt den Salat links
liegen.
Lloyd frotzelt: »Eat your greens,
boy!« Jeromes Stirn legt
sich in verständnislose Falten, Lloyd muss ihm übersetzen, dass er sein
Grünzeug essen soll. Eine Zeit lang konnte Jerome gut Englisch, aber als Lloyd
auszog, war er erst sechs, und danach hatte er kaum noch Gelegenheit zum Üben
gehabt. Eigentlich bizarr, überlegt Lloyd, das Gesicht dieses französischen
Jungen hat die Züge seines eigenen längst verstorbenen Vaters aus Ohio. Wenn
man sich die Haare wegdenkt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend - die flache Nase,
die verhangenen braunen Augen. Sogar Jeromes Manier, drei Worte zu machen, wenn
zwanzig es auch getan hätten. Außer, natürlich, dass an Jeromes Worten die Sprache
nicht stimmt. Lloyd geht ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf: Eines Tages
wird sein Sohn sterben. Das ist eine schlichte Tatsache, aber er hatte noch nie
daran gedacht.
»Na komm«, sagt Lloyd, »wir
winken mal die hübsche Kellnerin da drüben ran.« Er hebt den Arm, um sie auf
sich aufmerksam zu machen. »Die ist doch süß, was? Ich könnte dir ja mal ihre
Nummer besorgen. Soll ich?«
Jerome drückt ihm den Arm nach
unten. »Lass gut sein«, sagt er und dreht sich schnell eine Zigarette.
Sie haben sich seit Monaten
nicht gesehen, aus einem ganz einfachen Grund. Sie mögen sich zwar, aber sie
haben sich kaum etwas zu sagen. Was weiß Lloyd denn von seinem Sohn? Das meiste
stammt aus seinen ersten Lebensjahren - Jerome war scheu, las pausenlos Lucky- Luke -Hefte und wollte
Comiczeichner werden. Lloyd fand, er solle doch lieber Journalist werden. Der
beste Job der Welt, hatte er behauptet.
»Und«, sagt Lloyd, »zeichnest
du noch?«
»Zeichnen?«
»Deine Comics.«
»Mach ich seit Jahren nicht
mehr.«
»Zeichne mich mal. Hier, auf
der Serviette.«
Jerome starrt nach unten und
schüttelt den Kopf.
Gleich ist dieses Treffen
vorbei. Lloyd müsste eigentlich endlich auf die Frage kommen, wegen der er das
ganze Essen arrangiert hat. Aber erst muss er noch Jeromes Hand wegschieben
und sich die Rechnung schnappen. »Auf gar keinen Fall. Das mach ich.«
Draußen vor dem Bistro könnte
er seine Frage immer noch stellen. Stattdessen fragt er, als der Augenblick zum
Verabschieden gekommen ist: »Und, wo wohnst du jetzt so?«
»Ich
zieh grad um. Ich geb dir dann die Adresse.«
»Lust
auf 'nen kleinen Spaziergang?«
»Ich
muss in die andere Richtung.« Sie schütteln sich die Hände.
»Danke«, sagt Lloyd, »dass du
dich mit mir getroffen hast.«
Den ganzen Heimweg lang
verflucht er sich. In der Gegend der Hallen bleibt er auf dem Trottoir stehen
und zählt das Geld in seiner Brieftasche. Ein Teenager kommt auf einem
Motorroller auf ihn zugerast, manisch hupend.
»Und wo bitte schön darf ich gehen?«, schreit Lloyd. »Ihrer
Meinung nach?«
Der Junge bremst fluchend ab,
der Roller streift Lloyds Bein.
»Dreckiges Arschloch«, sagt
Lloyd. Er hat Jerome nicht gefragt.
Zu
Hause sagt Eileen: »Bring ihn doch mal mit. Ich würde ihm so gern was kochen.
War doch schön, wenn er öfter mal vorbeikäme.«
»Er hat seinen eigenen Kram um
die Ohren.«
»Im Ministerium?«
»Nehme ich an. Ich weiß es
nicht. Wenn ich ihn was frage, kriege ich immer nur so vage -«, Lloyd starrt
suchend in seine Hand, aber da steht das richtige Wort auch nicht. »Was weiß
ich. Frag du ihn.«
»Gern, aber dazu müsstest du
ihn erst mal mitbringen. Hat er eine Freundin?«
»Keine Ahnung.«
»Kein Grund, mich
anzublaffen.«
»Tu ich nicht. Aber woher soll
ich so was
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