Radau im Reihenhaus
schließlich beendete Frau Obermüller meine Kommunikationsversuche mit der durchaus richtigen Feststellung: »Von ein paar mageren Knochen können Sie nicht mehr erwarten als eine dünne Suppe. Aber wenn sich hier nicht bald etwas tut, fange ich aus lauter Verzweiflung noch an, das Telefonbuch zu lesen!«
Dann tat sich endlich etwas! Eines Tages schaukelte ein Möbelwagen mit Anhänger über die Zufahrtsstraße und hielt vor dem Nebenhaus. Unsere Nachbarn zogen ein. Während ich noch ausprobierte, von welchem Fenster aus ich die beste Sicht haben würde, rauschte ein feuerroter Sportwagen heran. Ihm entstieg eine nicht ganz schlanke, aber sehr attraktive Blondine, die die herumstehenden Möbelmänner keines Blickes würdigte, sondern zielstrebig auf unsere Tür zustöckelte. Dann klingelte es auch schon.
Ein Blick in den Spiegel sagte mir, daß ich es an Eleganz nicht im entferntesten mit meiner Besucherin würde aufnehmen können, aber kluge Menschen sind ja über Äußerlichkeiten erhaben. Zuversichtlich öffnete ich.
»Guten Tag, mein Name ist Gundloff, ich will hier einziehen, aber mein Bekannter hat den Haustürschlüssel in der Tasche, und nun suche ich ein Telefon. Sie haben doch eins?«
»Ja, natürlich. Kommen Sie doch herein!«
Aber sie war schon drin. »Wo steht der Apparat? Im Wohnzimmer? Danke.« Wie selbstverständlich öffnete sie die Tür, sah sich suchend um und zuckte schließlich mit den Achseln. »Ich sehe ihn nicht.«
»Würde mich auch wundern«, sagte ich etwas pikiert. »Das Telefon ist im Flur.«
»Da kommt meins auch hin.« Frau Gundloff stöckelte zurück und griff nach dem Hörer. »Wenn Sie mich vielleicht einen Augenblick allein lassen würden…«
Gehorsam marschierte ich in die Küche und schloß nachdrücklich die Tür. Trotzdem bekam ich den geräuschvollen Monolog mit, der offenbar an die Adresse des zoologischen Gartens ging, denn es war dauernd die Rede von einem Kamel, einem Riesenroß, einem Affen und weiteren Säugetieren dieser Größenordnung. Mit der Ankündigung, es würde sich etwas Entsetzliches tun, wenn »du Trottel nicht in einer halben Stunde hier bist«, war das Gespräch beendet.
»Sie können wieder rauskommen!« gestattete Frau Gundloff. Was bildete die sich eigentlich ein?
Entschuldigend lächelte sie mich an. »Ich bin immer so furchtbar impulsiv, aber ich meine das nie so. Es ist aber auch zu ärgerlich, wenn man sich um alles selber kümmern muß und dann doch mal etwas vergißt. Sonst passiert mir das nie, und nun gerade heute! Jetzt kann ich mindestens eine halbe Stunde vor der Tür stehen!«
Das war deutlich. »Sie können natürlich hier warten«, bot ich an. »Gehen Sie ruhig ins Wohnzimmer, den Weg kennen Sie ja. Ich stelle nur schnell die Kaffeemaschine an.«
»Für mich nicht!« Abschätzend musterte Frau Gundloff unser Mobiliar und ließ sich in einen Sessel fallen. Sorgfältig zupfte sie ihren hautengen Rock zurecht. »Kaffee vertrage ich nicht, aber wenn Sie vielleicht einen Kognak hätten…«
Sie bekam ihn. »Normalerweise trinke ich nur Remy Martin, aber der hier ist auch ganz ordentlich. Kriege ich noch einen?«
Nach dem vierten kannte ich schon den größten Teil ihrer Biographie, die darin gipfelte, daß sie mit 27 Jahren einen Zahnarzt geheiratet hatte, der zwanzig Jahre älter gewesen war und »überhaupt kein Verständnis für die Bedürfnisse einer jungen Frau« gehabt hatte. Fünf Jahre lang hatte sie es ausgehalten, dann war sie mit einem Medizinstudenten durchgebrannt.
»Ein halbes Dutzend Detektive hat mein Mann hinter mir hergeschickt«, entrüstete sie sich, trank den fünften Kognak und fuhr fort: »Er wollte mich aber nicht zur Verantwortung ziehen, er wollte mich wiederhaben! Mit dem Studenten war’s inzwischen zwar aus, der hatte ja kaum Geld, aber ich habe meinen Mann doch noch ein paar Wochen zappeln lassen, bis ich zurückgegangen bin. Eine Weile ging es auch ganz gut, aber dann fing er wieder mit seiner Eifersucht an – völlig grundlos natürlich –, und dann habe ich mich endgültig scheiden lassen. Ich habe ihm mit einem Riesenskandal gedroht, wenn er mir nicht eine anständige Abfindung und regelmäßigen Unterhalt zahlt. Beides mußte er, dafür hat schon mein Anwalt gesorgt. Ein ungemein tüchtiger Mensch, den kann ich Ihnen nur empfehlen!«
»Leben Sie jetzt allein?« fragte ich neugierig.
Frau Gundloff girrte die Tonleiter rauf und runter. »Ich bin für ein Einsiedlerleben nicht geschaffen.
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