Radau im Reihenhaus
erst nach jahrelangem Üben beherrschen. Mit Kennermiene begutachtete sie den Calvados, den Rolf ihr überreichte, und bat uns ins Wohnzimmer – eine sehr teure, sehr kühle und sehr unpersönliche Anhäufung moderner Innenarchitektur. Wir wurden in zwei unbequeme Sessel genötigt und bekamen Gläser mit einer undefinierbaren Flüssigkeit in die Hand gedrückt, die Isabell als eigene Kreation mit dem beziehungsreichen Namen »Mona-Lisa-Cocktail« bezeichnete. Dazu gab es Hors-d’reuvres genannte Appetithäppchen, die bei mir das absolute Gegenteil bewirkten und auch Rolf sofort an sein in solchen Fällen bewährtes Magengeschwür erinnerten. Er mag keine hartgekochten Eier, und die bräunlich schimmernde Paste erinnerte ihn wohl zu sehr an Sonnencreme. So nuckelte er nur lustlos an seinem Cocktail und bemühte sich redlich, Isabells Geplapper die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Leute, deren Gespräch es an Tiefe fehlt, gleichen das oft durch Länge aus, und Isabells ausführlich vorgetragene Ansichten über moderne Kunst und alte Religionen entbehrten jeder Grundlage.
»Dann glauben Sie also an gar nichts?« Ich wollte dieses unergiebige Thema endlich beenden.
»Nur an das, was ich mit meinem Verstand erklären kann.«
Das kommt ja wohl auf dasselbe heraus, dachte ich im stillen, schenkte unserer Gastgeberin ein besonders reizendes Lächeln und ermunterte meinen Gatten zum Aufbruch. Er hatte auch nichts dagegen, lud Isabell aber für einen der nächsten Abende zum Gegenbesuch ein. »Selbstverständlich zum Essen«, betonte er.
»Davon hat sie nämlich keine Ahnung«, begründete er zu Hause seine in meinen Augen übertriebene Gastfreundschaft. »Und diese Cocktails waren auch das Letzte! Wenigstens weiß ich jetzt, warum sie ›Mona Lisa‹ heißen: Nach zwei Gläsern wird man das komische Grinsen nicht mehr los!«
Am nächsten Tag – es war ein Sonntag – klingelte kurz vor elf das Telefon: »Könnte Ihr Mann nicht mal ein paar Minuten herüberkommen und nach meiner Stehlampe sehen?«
»Fragen Sie ihn doch selbst!« knurrte ich bissig und gab den Hörer weiter.
Rolf verstand absolut gar nichts von Elektrizität, denn als er unlängst mein Bügeleisen repariert hatte, mußte ich ein neues kaufen, weil der Elektriker später behauptet hatte, nunmehr sei es irreparabel. »Wieviele Schraubenzieher besitzt denn Ihr Mann?« hatte er gefragt.
»Keine Ahnung, ich glaube, vier.« Darauf der Elektriker: »Dann gebe ich Ihnen einen guten Rat – verstecken Sie sie!«
Aber natürlich bot Rolf sofort seine Hilfe an und begab sich ins Nebenhaus. Als er nach zwei Stunden zurückkam, hatten wir bereits gegessen, das Geschirr war gespült, und aus lauter Wut hatte ich sogar das Küchenfenster geputzt.
»Ich hab mich wirklich beeilt«, behauptete mein Gatte, »aber als ich die Lampe doch nicht reparieren konnte, haben wir noch ein bißchen was getrunken und geklönt, und plötzlich war es eins.«
»Gegessen haben wir um zwölf!«
»Es macht gar nichts, wenn ich eine Mahlzeit überspringe«, sagte Rolf fröhlich. »Isabell meint auch, ich könnte ruhig ein paar Pfund abnehmen.«
»Wenn du dich öfter von ihr zum Essen einladen läßt, wirst du das mühelos schaffen!«
Rolf lachte. »Bist du etwa eifersüchtig?«
»Natürlich nicht! Ich finde es völlig normal, wenn mein Mann, den ich manchmal eine ganze Woche lang nicht sehe, auch die Sonntage woanders verbringt!«
»Nun hab dich nicht so wegen dieser zwei Stunden! Isabell ist doch auch viel allein, seitdem ihr Freund den Tourneevertrag unterschrieben hat. Wir sollten sie ab und zu mal einladen.«
Aber das war gar nicht nötig. Entweder lud sie sich selber ein oder sie fand einen Grund, Rolf in ihr Haus zu locken und ihn um Hilfeleistungen zu bitten bei Dingen, mit denen »eine Frau allein nun mal nicht fertig wird«.
Endlich kam Bärchen zurück, und der ewige Pendelverkehr hörte auf. Ich stand nun nicht mehr länger im Mittelpunkt aller Gerüchte, die sich innerhalb der Siedlung ausgebreitet hatten. Sogar Frau Vogt hatte mir und den bedauernswerten Kindern Asyl angeboten, wenn ich mir die Eskapaden meines Mannes nicht mehr gefallen lassen wollte. »Wir Frauen müssen schließlich zusammenhalten. Am besten sollten wir versuchen, diese leichtlebige Person« – ein beziehungsreicher Blick wanderte zum Haus Nr. 5 – »zu entfernen. Sie bringt uns ja alle in Verruf!«
Zum Glück ahnte Frau Vogt nicht, was in dieser Hinsicht noch auf uns zukommen
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