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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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von dem, was einmal ein Garten werden sollte. Die Lehmwüste hinter den Häusern war eingeebnet worden und sah jetzt aus wie das Wattenmeer bei Ebbe. Gemäß deutschen Gepflogenheiten, wonach jeder Quadratmeter Eigentum umzäunt werden muß, hatte man 70 cm hohe Maschen- drahtzäunchen gezogen, die sogar Sascha mühelos übersteigen konnte, auch wenn er dabei regelmäßig seine Hosen zerriß.
    Dann kamen Männer, die sich lautstark darüber wunderten, daß man die Gärten bereits plattgewalzt habe, denn schließlich brauchten sie ja noch Sand für die Terrasse. Sie holten ihn dort, wo sie ihn am bequemsten fanden, nämlich aus dem Garten gleich
neben
der Terrasse. Als unser künftiger Freiluftsitz endlich fertig war, konnte das Regenwasser von den Platten sofort in den ausgehobenen Graben laufen. Was es auch tat. Nachdem Sascha zum viertenmal in die Lehmbrühe gefallen war, schippte Rolf den Graben endlich zu. Nun lief das Wasser überhaupt nicht mehr ab, sondern blieb so lange auf der Terrasse stehen, bis sich genug angesammelt hatte, um durch die Tür ins Zimmer zu rinnen.
    »Herbstzeit ist Gartenzeit!« verkündete Obermüller, der auch noch niemals im Leben einen beackert hatte, und machte sich an die Arbeit. Nachdem er ein handtuchgroßes Stück umgegraben und glattgeharkt hatte, kam er zu der Ansicht, daß man Gemüse zweckmäßigerweise im Laden kaufen sollte und eine glatte Rasenfläche sowieso das beste für Kinder sei. Also säte er welchen, ließ ihn samt Löwenzahn und Sauerklee wachsen, wie er wollte, und erteilte in den kommenden Jahren vom Liegestuhl aus seinen Nachbarn gute Ratschläge, wie sie Rosen und Radieschen pflegen müßten.
    Rolf hatte noch eine Weile abgewartet, ob die Baugesellschaft nicht vielleicht auch die Gartengestaltung übernehmen würde, aber als sich wochenlang nichts tat, beschloß er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Zunächst lieh er sich von Freund Felix ein farbenfroh illustriertes Gartenbuch, dessen Fotos wohl überwiegend in den Parkanlagen von Villenbewohnern der oberen Einkommensklasse entstanden waren. Da zogen sich über ganze Buchseiten Rasenflächen von Sportplatzgröße, mittendrin wie hingestreut ein paar Dutzend Tulpen und Narzissen, und das Weiße im Hintergrund mußten Armeen von Tausendschönchen sein. Flankiert wurde das Ganze von uralten Buchen.
    »So stelle ich mir einen Garten vor«, verkündete mein Gatte, »wachsen lassen, wie die Natur es hervorbringt.«
    »Natürlich sieht das schön aus«, räumte ich ein, »aber du vergißt, daß wir in einer Neubausiedlung wohnen. Das ist bekanntlich eine Gegend, wo die Bauleute erst alle Bäume ausreißen und dann die Straßen nach ihnen benennen!«
    Mein Gatte mußte einsehen, daß das ihm zugeteilte Areal für seine gartenarchitektonischen Pläne wohl doch ein bißchen zu klein geraten war, und entwarf einen Grundriß, in den er genau einzeichnete, wo die Tomaten, die Kohlköpfe und die Fliederbüsche stehen sollten. Sascha forderte einen Sandkasten, Sven wollte einen Auslauf für seine Mäuse haben, ich brauchte eine Wäschespinne – jeder neue Wunsch machte einen neuen Bauplan notwendig, und als der letzte endlich fertig war, hatten wir Ende November, und der Frost saß bereits im Boden. Wir vertagten die ganze Sache bis zum Frühjahr.
    An jedem Wochenende zogen Scharen von Schaulustigen durch unsere Millionärssiedlung, überstiegen die Gartenzäunchen, äugten interessiert durch die Fenster, und besonders Unverfrorene klopften sogar an die Scheiben und winkten uns fröhlich zu, bevor sie sich endlich vor dem Musterhaus sammelten. Wir gewöhnten uns daran, samstags und sonntags bei geschlossenen Vorhängen im Halbdunkel zu leben und hofften, daß nun endlich die noch leerstehenden Häuser verkauft und unsere Siedlung nicht länger Ziel von Familienausflügen sein würde.
    Im Nebenhaus tat sich schon etwas. Handwerker kamen und gingen, sogar der Bauleiter ließ sich zweimal sehen, eine nagelneue Küche wurde installiert – nur die künftigen Bewohner bekam ich nie zu Gesicht, obwohl ich beim Zuschlagen einer Autotür jedesmal ans Fenster stürzte. Und dann war es doch bloß wieder der Wagen vom Installateur.
    Nie hätte ich geglaubt, daß Klatsch und Tratsch einmal wesentlicher Bestandteil meines Lebens werden könnte, aber das war auch vor unserem Umzug nach Monlingen gewesen. Hier passierte absolut gar nichts! Und hatte ich auch eine Zeitlang Frau Vogt belächelt, die jeden Tag zehn Minuten nach halb

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