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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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des Einkaufswagens geflogen war, nahm ich ihn vorsichtshalber immer auf den Arm. Sehr zur Verwunderung der Kassiererin.
    »Kann der große Bengel denn noch nicht laufen?« fragte sie mich eines Tages.
    »Und ob!« erwiderte ich grimmig. »Was glauben Sie denn, warum ich ihn trage?«
    Mit Vorliebe plünderte er nämlich hinter meinem Rücken ständig den halben Laden. Endlich kam mir die rettende Idee: Ich zog ihm vor der Tür einfach den Gürtel aus der Hose, und von da an brauchte er beide Hände, um die Hose festzuhalten.
    Frau Obermüller hatte mir erzählt, daß es zumindest etwas gab, was man ohne körperliche Strapazen und noch dazu viel frischer als im Laden haben konnte – nämlich Eier. Bauer Köbes sollte Hühner haben, die mehr Eier produzierten, als er und seine alte Mutter verbrauchen konnten. So machte ich mich eines Morgens auf den Weg und fand auch ohne Schwierigkeiten »den Zaun mit dem Loch gleich hinter dem Pfahl«. Der reguläre Zugang befand sich weiter hinten, aber diese Wegabkürzung ersparte mir einmal Schuheputzen. Die Wiese war halbwegs trocken, der Lehmweg war es nicht.
    »Köbes sein Hof« entpuppte sich als recht stattliches Anwesen, und das hübsche weißgestrichene Haus sah vertrauenerweckend aus. Eine alte Frau saß davor und sortierte Kartoffeln.
    »Guten Tag, ich bin vor einigen Tagen drüben im Wiesengrund eingezogen und habe gehört, daß Sie Eier verkaufen. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Kann ich wohl bitte zwanzig Stück haben?«
    »Nein!«
    »Und warum nicht?«
    »Keine da!«
    »Ach so«, sagte ich erleichtert, weil der nicht eben allzu freundliche Empfang offenbar nichts mit meiner Person zu tun hatte, »dann komme ich eben morgen nochmal wieder.«
    »Nein!«
    »Also dann wollen Sie mir keine Eier verkaufen?«
    »Doch!«
    »Ja, und warum…?«
    »Bloß dienstags. Montags fährt mein Sohn immer zur Hühnerfarm und holt welche. Wir haben keine Hühner!«
    Zumindest in kommerzieller Hinsicht schien es hier doch Anzeichen von Zivilisation zu geben!
    Zum Glück war Bauer Köbes weniger schwerfällig als seine Mutter und belieferte uns künftig nicht nur mit Eiern, sondern auch mit Gemüse, Obst und Einkellerungskartoffeln. Gelegentlich brachte er auch Wild mit. Die Landstraße führte direkt an seinem Gehöft vorbei, und jedesmal, wenn er abends Bremsen quietschen hörte, rannte er hinaus, um gegebenenfalls Polizei, Abschleppdienst oder Leichenbestatter zu alarmieren. Autofahrern, die das Warnschild nicht beachtet hatten und mit Rehen kollidiert waren, nahm er die gesetzwidrige Beute ab mit dem Versprechen, »die Sache nicht an die große Glocke zu hängen«. Die verschreckten Zufallsjäger waren froh, ohne Forstamt und Papierkrieg davonzukommen, drückten Köbes das Reh und meist auch noch Bares in die Hand, und so hatten wir besonders im Herbst ziemlich häufig Wildgerichte auf dem Speisezettel.
    Einmal brachte er auch ein räudiges Huhn an, von dem er behauptete, er habe es notschlachten müssen, weil es von einem Motorrad angefahren worden war. Ich vermutete allerdings, daß es an Altersschwäche eingegangen war. Wir haben es nie weichgekriegt. Sogar Mausi, die mühelos Lederriemen und mittelgroße Zaunpfähle durchnagen konnte, hatte meine Gabe verschmäht und mir den Leichnam später wieder vor die Haustür gelegt.
    Am leichtesten hatten Sven und Sascha den Wechsel von der Großstadt in die doch schon ziemlich ländliche Umgebung überstanden. Sie liefen den ganzen Tag in Gummistiefeln und Friesenfrack draußen herum, kannten alle Handwerker, die sich ab und zu noch mal blicken ließen, luden sie großzügig zu Kaffee und Kuchen ein, wenn ich gerade große Wäsche hatte oder über Rolfs Spesenabrechnung saß, und schleppten alles an, was ihr Interesse erregt hatte. Das konnte ein Käfer sein oder ein abgebrochener Spaten; ein zerfledderter Autositz, den jemand nachts heimlich abgeladen hatte, oder ein Bestellzettel für die Zeitschrift »Wild und Hund«, weil da genauso ein Pferd drauf war, wie Sven es sich zu Weihnachten wünschte.
    Das Beste an kleinen Jungen ist, daß sie abwaschbar sind. Jeden Abend mußte ich sie in die Wanne stecken, und wenn sie abgeweicht und wieder halbwegs sauber waren, hätte ich im Badezimmer Petersilie säen können. Ich fing an, mir Sorgen zu machen, ob im Garten noch genug Erde übrigbleiben würde, um im Frühling meine noch nie erprobten Fähigkeiten als Gärtnerin beweisen zu können.
    Inzwischen hatten wir nämlich eine ungefähre Vorstellung

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