Radegunde von Thueringen
besser, bis ich wieder vollständig sehen konnte.“
„Ein Wunder also?“
„Aber ja! Ich danke dem Herrn jeden Tag aufs Neue. Und Martin natürlich auch.“
Radegunde nickte. „Das verstehe ich. Jetzt kommt mit mir, ich will testen, ob Ihr so gut schreiben könnt, wie Ihr redet!“
„Gern, meine Königin! Ich bin in all diesen Dingen unschlagbar!“ Sein Eifer klang nicht hochnäsig, sondern kindlich und ehrlich.
Sie blieb stehen. „Wenn Ihr in diesen Mauern verweilen wollt, gibt es ein paar Regeln zu beachten: Erstens: Wir vermeiden überflüssige Höflichkeiten, reden uns mit den Vornamen an. Ich bin also Radegunde, wenn Euch das zu vertraut ist, könnt Ihr auch ,Schwester Radegunde‘ sagen. Einverstanden?“
Er nickte.
Sie setzte eine strenge Miene auf. „Zweitens: Ein allzu vertrautes Gespräch mit den Nonnen, so wie eben in der Küche, sollte vermieden werden, um die Ehre der Jungfrauen zu schützen. Auch solltest du darauf achten, worüber du hier sprichst. Dies Thema eben schien mir einem Kloster nicht angemessen.“
Er wurde rot wie ein Augustapfel. „Herrin, ich meine – Schwester, äh … Es tut mir leid, ich wollte niemandem zu nahe treten. Es ist eine dumme Angewohnheit von mir, überall, wo ich gehe und stehe, zu reimen und zu dichten.“
Sie lächelte. „Nun, aus dieser Angewohnheit lässt sich bestimmt etwas Vernünftiges machen. Komm jetzt!“
Sie nahm ihn mit ins Scriptorium, wo sie ihn Agnes vorstellte. Dann ließ sie ihn den Brief an Chilperich schreiben und war zufrieden mit seiner Arbeit. Nach dem Mittagessen nahm sie ihn mit auf den Wirtschaftshof.
„Setz dich zu mir, ich muss meine Hände bewegen, während ich rede.“ Sie griff nach einem Apfel. „Ich habe mir einen Schreiber von Sigibert gewünscht, weil ich möchte, dass die Lebensgeschichte des heiligen Hilarius aufgeschrieben wird, damit wir sie in unserem Kloster für die Nachwelt bewahren können. Traust du dir das zu?“
Venantius nickte nachdenklich. „Ja. Ich müsste einige Nachforschungen anstellen, um alle wichtigen Daten seines Lebenslaufes in Erfahrung zu bringen. Aber es ist kein Problem.“
„Du solltest dich mit unserem Bischof Pientus in Verbindung setzen. Aber das muss bald geschehen, er ist sehr krank und wird womöglich in Kürze von uns gehen. Es wäre schade, wenn er sein Wissen mit sich nimmt.“
Unter den Nonnen am Tisch herrschte einträchtiges Schweigen. Mit großen Augen hörten sie zu und bestaunten den jungen Mann, der nicht nur ein Schreiber, sondern auch noch ein Dichter war.
„Kannst du uns noch ein Probestück deiner Dichtkunst aufsagen?“, fragte Basina mit glitzernden Augen.
Venantius schaute Radegunde verlegen und fragend an. Sie hob mahnend eine Augenbraue und nickte ihm zu. Er verstand und räusperte sich.
„Stimmt an mit mir dem Herrn zu Lob und Preis
ein heilig Lied für uns Geleit, Geheiß.
Schließt mich nicht aus, wenn ich mit euch will beten.
Gemeinsam lasst vor Gottes Thron uns treten.
Fern sei und weit uns allen Erdennot.
Uns allen blüh’ ein einig Glück in Gott.“
Die Frauen legten ihre Messer beiseite und klatschten begeistert. Nur Basina sah ein wenig enttäuscht aus.
Eine Woche später trafen zwei Boten mit Schreiben ein, eines von König Chilperich, das andere von Germanus, der die Bischofsversammlung leitete. Chilperich bat die Äbtissin höflich und gewandt, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken, da Basinas Vermählung mit dem spanischen Prinzen eine ,höchst wichtige‘ politische Notwendigkeit sei. Agnes rümpfte die Nase. „Ich glaube ihm schon, dass er diese Heirat dringend braucht. Hat er sich doch denkbar unbeliebt gemacht beim spanischen König. Was musste er denn unbedingt seine Tochter heiraten!“
Radegunde grübelte über dem Brief. „Er wollte sie, um es Sigibert gleichzutun, der im Jahr zuvor Brunichild von Spanien gefreit hatte.“
„Dabei war er mit Basinas Mutter, dieser Fredegunde, doch glücklich!“
Venantius stand an einem kleinen Schreibpult neben der Tür und spitzte die Ohren. „Die Herrin Brunichild hat immer wieder behauptet, Fredegunde sei ein Besen und keine Frau“, mischte er sich schließlich in das Gespräch ein.
„Solange der Verdacht an ihr haftet, sie habe ihre spanische Nebenbuhlerin eigenhändig erwürgt, ist das kein Wunder. Die Ermordete war immerhin Brunichilds Schwester“, gab Radegunde zu bedenken.
„Sie hasst Fredegunde aus tiefstem Herzen und hat Rache geschworen. Sigibert konnte sie
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