Radegunde von Thueringen
Galopp. Allmählich verlor sie den Anschluss, denn die anderen waren weitaus geübter im Sattel. Nach einer Wegbiegung hatte sie den königlichen Tross aus den Augen verloren. Der junge Hengst lief jedoch von selbst in die Richtung, in der er seine Artgenossen witterte, und wurde dabei immer schneller.
Aus einem dichten Eichenwald am Rande des Weges, hinter dem die Sonne schon verschwunden war, kamen plötzlich mehrere Schweine herausgeschossen. Offensichtlich auf der Flucht, nahmen sie den Fuchshengst nicht wahr und rannten ihm zwischen die Beine. Er stolperte, versuchte sich zu fangen, doch da war bereits das nächste Schwein unter seinen Hufen. Die Rotte quiekte gellend, was das sonst ruhige Pferd zusätzlich in Angst und Schrecken versetzte. Bei dem Versuch, seitlich auszubrechen, geriet es vom Weg ab, trat in ein Loch und stürzte mit dem Kopf voran in das dornige Gebüsch am Waldrand. Dornen gruben sich in ihre Haut ein und zerkratzten ihr das Gesicht. Dicht neben ihr ruderten Hufe panisch durch die Luft und sie riss schützend die Arme über den Kopf.
Dann herrschte Ruhe. Vorsichtig richtete sie sich auf. Das zitternde Pferd stand neben dem Weg und schnaubte leise. Sein Fell war übersät mit kleineren Kratz- und Schürfwunden, doch sonst schien es in Ordnung zu sein.
„Guter Fuchs, sei ganz ruhig! Es ist alles halb so schlimm!“, murmelte sie, während sie sich aus den Dornen herauskämpfte. Ihr Mantel war zerrissen, auch sie blutete aus zahlreichen Wunden, die jedoch nur oberflächlich schienen. Langsam ging sie auf das Pferd zu. Es hatte die Augen weit aufgerissen, seine Flanken bebten. Vor ihm auf dem Weg sah sie zwei Schweine, eines regte sich nicht mehr, das andere saß auf seinen prallen Hinterbacken und blickte ihr panisch entgegen. Aus dem Wald ertönte plötzlich ein scharfer Pfiff. Das Schwein wandte den Kopf und wollte davonlaufen, doch sein Hinterlauf knickte weg. Wieder erklang der Pfiff, und kurz darauf trat ein halbwüchsiger Junge aus dem Wald.
„Da seid ihr ja, …“ Er verstummte erschrocken, als er Radegunde und das blutende Pferd sah.
„Was ist passiert, geht es dir gut?“, fragte er atemlos. Sein blondes Haar stand wirr um seinen Kopf herum, er war barfuß und trug einen einfachen Bauernkittel.
„Ja, ich glaube, schon.“ Sie blickte an sich herab. „Du solltest besser auf deine Schweine aufpassen, sie sind meinem Pferd direkt zwischen die Beine gerannt.“
„Das tut mir leid. Sie sind mir durchgebrannt.“ Er trat auf den Weg und betrachtete sorgenvoll das tote Schwein. „Oje, das wird Ärger geben!“ Damit zog er ein kurzes Messer aus dem Gürtel, hockte sich auf das Tier und schnitt ihm treffsicher die Schlagader am Hals auf.
„Was ist mit dem anderen?“, fragte sie und deutete mit dem Kinn auf das zweite Tier. „Es kann nicht mehr laufen.“
„Das muss ich wohl auch schlachten. Aber das hat Zeit“, schnaufte er, während er das Vorderbein des toten Tieres wie einen Pumpschwengel betätigte. Das Blut strömte auf den Weg.
Der Fuchs scheute vor dem Geruch und tat einen Satz zurück.
„Dein Pferd lahmt auch! Irgendwas stimmt nicht mit dem Bein hinten rechts“, bemerkte der junge Schweinehirt.
„Meinst du, ich kann es nicht nach Hause reiten?“, fragte sie.
„Du kommst vom Königshof, nicht wahr?“, fragte der Junge mit einem abschätzenden Blick auf ihre Kleider.
„Ja. Ich habe den Anschluss verloren. Ich wollte …“ Sie verstummte, weil sie das Geräusch von Pferdehufen hinter sich hörte. Der Fuchs wieherte laut.
„Mir scheint, jetzt haben sie den Verlust bemerkt“, spöttelte der Junge. Als er die Reiter kommen sah, verblasste das frische Rot seiner Wangen und er wischte seine blutigen Hände hastig an der groben Wollhose ab.
Amalafrid war als Erster heran und sprang vom Pferd. „Was ist passiert?“ Seine schwarzen Augen wanderten von den Schweinen über den Jungen zu Radegunde und dem Fuchs.
Sie berichtete in knappen Worten, während drei weitere Krieger des Königs heranritten und absaßen.
„Was passt du nicht besser auf deine Schweine auf?!“, fuhr Amalafrid den Hirten an, der auf seine schmutzigen Füße starrte.
„Lass ihn! Er kann nichts dafür. Sieh nur, welchen Verlust er hat!“
Amalafrid nickte, er hatte keine Lust, sich nach diesem anstrengenden Tag auch noch mit einem Schweinehirten auseinanderzusetzen.
„Du siehst aus, als hättest du mit einem Bären gekämpft!“ Er grinste und wurde gleich wieder ernst. „Bist du
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