Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
Vom Netzwerk:
muss Bertafrid suchen gehen.“
    In der Nacht wurde die Luft in der Hütte schwer von Kehlen und Gedärm der zahlreichen Menschen. Die Giebel aus Flechtwerk ließen nicht genug kühle Nachtluft herein. Amalaberga schnarchte leise, Rodelinde murmelte im Schlaf vor sich hin. Weiter hinten im Raum stöhnte eine Magd lustvoll unter den Händen eines Dieners. Draußen auf dem Hof stritten kreischende Frauenstimmen um einen Liegeplatz am Feuer, zwei Hunde bissen sich unter wütendem Gebell, bis einer winselnd davonlief.
    Das Strohlager hinter der Tür wurde von Kiaras verhaltenem Schluchzen erschüttert. Besa hatte darauf bestanden, ihr reinen Wein über das Schicksal der Wachmannschaft einzuschenken.
    „Wie lange willst du ihr was vorlügen?“, hatte sie gefragt. „Lieber ein Ende mit Schrecken als dauernd diese Ungewissheit!“
    Radegunde spürte ihre Blase und kletterte vorsichtig über Bertafrids kleinen Körper hinweg. Sie hängte sich den Mantel über und schlich zur Tür.
    „Wo willst du hin?“, flüsterte Kiara.
    „Zu den Gruben!“
    Der Mond stand halbvoll am Himmel und beleuchtete den Weg zu dem Ort abseits der Hütten. Die Luft war frisch und roch nach kaltem Rauch und nach etwas Würzigem, was sie nicht deuten konnte. Kiara war ihr gefolgt. Auf dem Rückweg hörten sie die Trommeln. Sie klangen verhalten, als solle sie nicht jeder hören, aber doch fordernd.
    „Alwalach!“, murmelte Kiara und Radegunde nickte.
    Es war nicht schwer, die Opferstätte zu finden. Sie verließen die Burg durch das Haupttor, das zwar bewacht war, aber offen stand. Sie waren nicht die Einzigen, viele Menschen folgten dem Rhythmus, der die Nachtluft vibrieren ließ. Am Fuße des Burghügels glitzerte ein kleiner Teich im Licht der Fackeln. Am Ufer hatten Priester zwei Altäre unterschiedlicher Größe aufgebaut. Zu beiden Seiten loderten große Feuer, so dass der Platz hell erleuchtet war. Unter einer Weide zerrte ein Zicklein ängstlich meckernd an seinem Strick.
    „Sie wollen die Götter um Hilfe bitten!“, sagte Kiara und vergaß vor Staunen ihr eigenes Unglück.
    „Ja. Germar hat es mir gesagt.“
    „Doch Alwalach wird sich nicht mit einer Ziege begnügen!“ Kiara sah sich suchend um. Weitere Opfertiere waren nicht zu sehen.
    Poromm, poromm, pomm, poromm! Hände trommelten auf Tierhäute, wurden schneller und schneller. Die dumpfen Töne schwangen sich auf zum Nachthimmel und umhüllten die Menschen am Teich wie eine beschützende Glocke. Die Priester begannen, im Schein der Feuer zu tanzen, und viele der Zuschauer verfielen ebenfalls in rhythmische Bewegungen. Körper zuckten, sprangen auf der Stelle oder drehten sich schwindelerregend im Kreis.
    Poromm, pomm, pomm, pomporomm!
    Radegunde blickte sich besorgt um. „Wenn Amalaberga das sehen könnte! Ein Wunder, dass sie den Lärm nicht hört.“
    „Sie ist nicht taub. Aber sie weiß, dass sie gegen die alten Götter nichts tun kann. Deshalb bewahrt sie ihr Gesicht und tut so, als merke sie nichts.“
    „Und wenn sie wüsste, dass wir auch dabei sind?“
    Kiara antwortete nicht.
    Einer der Priester klemmte sich das Zicklein unter den Arm und ging mit ihm zum kleineren Altar. Die Menge reckte den Hals. Der Mann schnitt dem zappelnden Tier mit einer schnellen Bewegung die Kehle durch, sein Gehilfe fing das schäumende Blut in einer Schale auf. Zwischen den beiden Altären stand ein aus Holz geschnitztes Abbild von Donar, dem starken Gott. Grimmig blickte er mit starren hölzernen Augen geradeaus. Ein Priester tauchte einen buschigen Pinsel aus Rosshaar in die Schale und bespritzte die Statue mit dem warmen Blut.
    Dazu sangen die Männer monotone Weisen, die jedoch vom pulsierenden Rhythmus der Trommeln übertönt wurden. Ihr immer noch rasendes Tempo beschleunigte den Herzschlag der umstehenden Menschen und ließ sie taumeln.
    Plötzlich verstummten die Klänge abrupt, in der folgenden Stille hörten sie nur noch das Lodern der Flammen. Dann ging ein Raunen durch die Menge, wie die Bugwelle eines Bootes rollte es durch die Zuschauer.
    „Alwalach!“ Kiara stieß Radegunde an.
    Der Hohepriester war wie aus dem Nichts erschienen und stand unvermittelt zwischen den Altären. Bis auf einen Lederstreifen um die Lenden war er nackt. Sein Wolfszahnamulett baumelte auf der glänzenden Brust. Die schwarzen Streifen um seine Augen ließen ihn im Schein des Feuers wie ein böses Tier aussehen. In seinen langen Zöpfen steckten kleine Tierknochen und bunte Federn. Völlig

Weitere Kostenlose Bücher