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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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unbeweglich starrte er in die Menge, bis auch der letzte Zuschauer ehrfürchtig den Atem anhielt. Jäh reckte er seine sehnigen Arme gen Himmel und sprach mit einer Stimme, die seltsam verzerrt war:
    Oh Donar, du starker Gott,
oh Maguso, wir rufen dich.
Nimm unser Opfer an, wir bitten dich.
Steh uns bei in der Schlacht, wir bitten dich.
Lass uns stark sein gegen den Feind, wir rufen dich.
Heil sei dir, oh starker Gott.
    Er drehte sich um seine eigene Achse und wiederholte dieses Gebet, die anderen Priester stimmten leise murmelnd ein. Die Trommeln bauten erneut eine Halle aus Schall und berstender Luft um die Zuhörer. Mit den Füßen zerstampften die Priester den Uferschlamm und klatschten in die Hände, während Alwalach sich langsam dem Publikum näherte. Mit dem Feuerschein im Rücken schien er zu wachsen und sein Schatten zuckte wie ein böser Geist über die Menge hinweg. In den ersten Reihen wichen die Leute zurück. Doch dann drehte er sich unerwartet um und winkte einem Gehilfen, der zwischen den Weiden am Ufer gewartet hatte.
    Und wieder ging ein Raunen durch die Menschen, doch diesmal steigerte es sich zu einem Aufschrei. Der Gehilfe brachte ein Mädchen. Beinahe sanft zog er es an der Hand hinter sich her bis zum großen Altar, der noch unbenutzt stand. Das Mädchen hatte vielleicht fünfzehn oder sechzehn Sommer gesehen, sein Haar leuchtete im Feuerschein wie flüssiges Kupfer. Es trug einen einfachen Kittel, stand ruhig da und schien die aufgeregte Menge nicht wahrzunehmen.
    Radegunde packte Kiara am Arm. „Was hat er vor?“
    „Alwalach ist bekannt dafür, dass er keine halben Sachen macht.“ Kiaras Stimme klang begeistert.
    „Aber das kann er nicht tun!“
    „Warum nicht? Wir wollen doch die Schlacht gewinnen, oder?“
    „Warum wehrt sie sich nicht?“
    „Sie haben ihr Mohnsaft gegeben. Sie wird nichts spüren.“
    Die Trommeln steigerten noch einmal das Tempo. Schlag folgte auf Schlag, schneller und schneller und härter. Alwalachs tänzelnde Füße berührten kaum noch den Boden. Seine Arme bewegten sich wie flinke Schlangen um das Mädchen, das völlig unbeteiligt dastand. Seine geflochtenen Zöpfe peitschten die Luft, Schweiß lief wie Wasser an seinem Körper herab. Der Gehilfe streifte dem Mädchen den Kittel über den Kopf. Die Scham und die Brustwarzen hoben sich im Schein des Feuers von der hellen Haut ab. Der Hohepriester formte seine Hände zu Schalen, tauchte sie in das dampfende Blut des Zickleins und goss es dem Opfer über Brust und Rücken.
    Radegundes Herz schlug jetzt im Takt der Trommeln. Ohne zu denken und rücksichtslos die Ellenbogen benutzend, drängte sie sich durch die Reihen nach vorn. Die Leute wollten protestieren, doch als sie des Königs Nichte erkannten, wichen sie zur Seite. Endlich spürte sie die Hitze der beiden Feuer auf ihrem Gesicht. Hinter sich hörte sie Kiaras helle Stimme und das unwillige Murren der Menge.
    Dann geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig: Sie erkannte das Mädchen. Es war die Tochter eines unfreien fränkischen Waffenschmiedes. Im selben Moment stand Alwalach zwischen ihr und seinem Opfer. Er hatte die Hände zu Klauen geformt und hob sie in die Höhe ihrer Schultern, als wolle er sie ihr um den Hals legen. Deutlich sah sie gelbliche Nägel, die sich um die Kuppen seiner blutigen Finger krümmten. Seine Augen starrten wild, aber sie schienen nichts wahrzunehmen. Wie junge Glut leuchtete seine Iris zwischen den schwarzgefärbten Lidern hervor. Die Pupillen darin waren kleiner als Mohnsamen. Noch nie war sie diesem furchterregenden Antlitz so nahe und ausgeliefert gewesen. Unter seinem Blick war sie unfähig, sich zu bewegen, eine bleierne Müdigkeit legte sich über ihre Glieder. Schon schlossen seine sehnigen Finger sich um ihren Hals, sein Gesicht verzerrte sich zu einer undeutlichen Grimasse. Da fühlte sie, wie kräftige Hände sie wegzerrten, zurück durch die Menge und weg von der Glut des Feuers.
    Germar beugte sich keuchend über sie: „Warum störst du die Opferung, Prinzessin?“
    Sie sprang wütend auf die Füße. „Sie darf nicht sterben!“
    „Sie ist nur eine Sklavin, noch dazu eine fränkische! Und sie kann uns retten!“ Das war Kiara.
    „Aber du bist auch eine Sklavin!“
    Kiara blickte sie stolz an. „Ich bin eine Hunnin!“
    In diesem Moment schrien die Menschen vor ihnen auf, Entsetzen und Euphorie vermischten sich zu einem vielstimmigen Laut. Sie fuhr herum und klammerte sich voller Panik an Germar. Der Gehilfe

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